Rezension

Wenn Träume zerplatzen und dann doch die Hoffnung obsiegt

Die Hafenschwester (2) -

Die Hafenschwester (2)
von Melanie Metzenthin

Bewertet mit 5 Sternen

Meisterhaft recherchiert, tolle Hamburgische Geschichte, deutlich ruhiger als der erste Teil, aber nicht minder bewegend! Absolut lesenswert!

Das Buch:

Es handelt sich bei diesem Buch um den zweiten Teil der Hafenschwester Trilogie. Er schließt nicht direkt an den ersten Band an. Dazwischen liegen ca. 15 Jahre. So ist der Roman zwar unabhängig vom ersten Teil zu lesen, aber es lohnt sich auf jeden Fall bei Band 1 zu beginnen um Marthas Geschichte von Anfang an zu verfolgen.

Worum geht’s?

Wir schreiben das Jahr 1913 in Hamburg. Milli ist nach Amerika ausgewandert und Martha und Paul leben ein glückliches, gut situiertes Familienleben. Zwar darf Martha – bedingt durch ihre Eheschließung – nicht mehr arbeiten, dafür engagiert sie sich ehrenamtlich wie eh und je für die Ärmsten der Armen in Hamburgs Gängevierteln. Die perfekte Welt wird von einer Einladung Millis nach Amerika gekrönt, weil Marthas Patenkind Anna heiraten wird. Die Reise auf dem imposanten Imperator ist ein wirkliches Highlight. Doch kurz nach ihrer Rückkehr beginnt der erste Weltkrieg und Marthas heile Welt wird schwer erschüttert…

Die Charaktere:

Martha ist und bleibt die interessante Frau, die der Leser im ersten Teil bereits kennengelernt hat. Und trotzdem erscheint sie anders – reifer, älter. Sie ist DIE Hafenschwester, ihr guter Ruf eilt ihr stets voraus. Entgegen ihrer Vergangenheit ist sie heute eine anerkannte Persönlichkeit in Hamburg – und zwar in allen Gesellschaftsschichten. Sie ist bemerkenswert klug und schlagfertig und einfach der Sympathieträger der Geschichte. Ich mochte sie bereits im ersten Teil sehr und daran hat sich jetzt nichts geändert. Ihre Familie mit ihrem Mann Paul und ihren 3 Kindern empfindet sie als hohes Gut und sorgt entsprechend gut für sie. Als in den Wirren des ersten Weltkrieges ihre heile Welt zusammenzubrechen droht, behauptet sie sich um ihre Familie zu ernähren und zusammenzuhalten und hat sogar noch die Kraft, für so viele andere da zu sein.

Paul kommt schwerst verletzt aus dem Krieg nach Hause. Ja, er lebt, hat noch alle Gliedmaßen, dafür ist sein Gesicht schwer gezeichnet. Während Paul zunächst beinahe den Lebenswillen verliert, kümmert sich Martha nicht nur um sein seelisches Heil sondern mit aller Kraft auch um seine körperliche Genesung. Hierbei ist es beeindruckend mit welcher Vehemenz und Tatkraft sie sich dieser Aufgabe widmet.

Marthas Bruder Heinrich heiratet heimlich eine Chinesin – Li-Ming. Diese Figur ist aus meiner Sicht jene, die sich am meisten entwickelt. Bei ihrem ersten Auftreten wusste ich so gar nicht, wohin ich sie stecken sollte, hatte sogar kurz das Gefühl, dass sie ein negativer Part werden könnte, aber je weiter die Geschichte fortschreitet, desto sympathischer wird diese Frau. Der Leser erfährt von ihrem schweren Schicksal der gebundenen Füße, nimmt teil an ihrer Odyssee, als Heinrich im Krieg als verschollen gilt und lernt sie und ihre Traditionen immer besser kennen. Zunächst hat sie etwas Unnahbares an sich, sie scheint verschlossen, aber irgendwann offenbart sie sich Martha und wird letztlich zu einem wirklichen Familienmitglied. Mochte ich sie am Anfang nur bedingt, ist sie mir zum Ende der Geschichte jedoch sehr ans Herz gewachsen. Als Chinesin in Hamburg hat sie es sicherlich nicht leicht gehabt.

Heinrich ist ein Mann der Tat – ganz ähnlich wie seine Schwester. Als Kapitän zur See ist er alles andere als feige und das zeigt er hier auch sehr deutlich. Oftmals kann man die Sorge Li-Mings und Marthas nur allzu gut mitfühlen, wenn Heinrich wieder einmal zu lange nicht nach Hause kommt und nichts von sich hören lässt. Aber die Geschichten, die er im Anschluss zu berichten hatte, habe ich geliebt. Ich konnte ihn mir so richtig als Haudegen vorstellen, der immer ein Abenteuer mit nach Hause bringt.

Der Antagonist in diesem Roman ist der 1. Weltkrieg und gegen ihn scheinen all die sympathischen Figuren absolut machtlos zu sein. Es ist erschreckend mitzuerleben, wie eine politische Situation das Leben so nachhaltig verändern kann. Die stolze Stadt Hamburg liegt an seinem Ende zerstört am Boden – moralisch zerstört, weil seine Einwohner die Hoffnung verloren hatten.

Historische Fakten:

Die geschichtlichen Hintergründe des Romans sind exzellent recherchiert und nachweisbar. Die Beschreibungen des alten Hamburg sind so lebhaft und bildgewaltig geschrieben, dass sich selbst Nicht-Hamburger wohl beinahe zu Hause fühlen könnten. Für Leser, die sich in Hamburg auskennen, ist es eine Freude mit Martha durch die Straßen zu ziehen und viele Dinge wiederzuerkennen, weil es sie heute noch in moderner Form gibt. Die Autorin lässt den Leser in diese mondäne Stadt eintauchen, obwohl er von längst vergangenen Zeiten liest.

Mich haben insbesondere die medizinischen Hintergründe der Gesichtschirurgie und die Geschichte des ersten Weltkriegs gefesselt. Beide Stränge sind geschickt in die Schicksale der Figuren verwoben, sodass es noch nicht einmal auffällt, dass man gerade etwas Neues lernt. In diesem Roman wird Geschichte lebendig und ich dachte öfter, würde so Geschichtsunterricht gemacht werden, wie die Autorin ihren Roman schreibt, es gäbe viel mehr gute Noten. Die Mischung aus menschlichem Schicksal und Geschichte ist wundervoll!

Schreibstil:

Der Schreibstil der Autorin ist gewohnt bildhaft und leicht zu lesen. Sie beschreibt Orte und Figuren so, dass man sich fühlt, als stünde man genau dort in der Szene, über die man gerade liest. Das Buch beginnt sehr ruhig – ganz im Gegensatz zum ersten Band. Aber damit soll die gute Zeit zum Ausdruck gebracht werden. Es macht außerordentlich viel Freude sich der Historie hingeben zu können.

Und auch während des Krieges wird es nur bedingt wirklich laut. Die schrecklichen Erlebnisse im Frontgeschehen kommen nur selten zum Anklang, vielmehr beschreibt Melanie Metzenthin, welche Tragödien sich daheim in Hamburg ereignen. Die Lage der Menschen spitzt sich stetig zu und endet mit der Abdankung des Kaisers, des Werftarbeiterstreiks und der sehr raschen Einführung von Vergünstigungen im Arbeitsleben, die wir heute auch noch kennen.

Auffällig ist, dass – im Gegensatz zum 1. Band – die Politik recht kurz kommt. Und das obwohl Martha und Paul keineswegs ihr Interesse daran verloren hätten – im Gegenteil, sie sind weiterhin engagiert. Aber in dieser Geschichte stehen eindeutig andere Fakten im Fokus, welche toll verarbeitet und immer an die Figuren geknüpft sind. Nie hat der Leser das Gefühl belehrt zu werden. Vielmehr fängt Melanie Metzenthin die Stimmung zu jener Zeit ein, weshalb die Geschichte bis zur letzten Seite lebendig bleibt.

Obwohl Martha und Paul eine tiefe Liebe verbindet, gibt es in diesem Roman überhaupt keinen Kitsch. Sehr gekonnt bringt die Autorin diese Gefühle anders zum Ausdruck, man könnte sagen zwischen den Zeilen, aber dennoch fühlbar

Fazit:

Ein weiteres gelungenes Werk dieser Autorin. Es ist eine Reise in die Vergangenheit – in die medizinische, die politische und die menschliche. Eine wundervolle Geschichte über zerbrochene Träume und neu gefundene Hoffnung. Für Fans historischer Romane ein Must read.