Rezension

Wieso fühlt sich niemand verantwortlich?

In den Gangs von Neukölln - Christian Stahl

In den Gangs von Neukölln
von Christian Stahl

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt

Die Wut ist Yehyas Antrieb. Die Kriminalität ist seine Droge. Was er braucht, ist Entzug. Aber in den Gangs von Neukölln sind alle auf dieser Droge.
Yehya E. ist ein sogenannter Intensivstraftäter, dessen Intelligenz, Charme und Energie verblüffen und erschrecken: zwischen kindlichen Gangsterträumen, vom Krieg traumatisierten Eltern und dem Wunsch nach Normalität in Deutschland lebt Yehya E. ein zerrissenes Leben.

Jeder hat schon einmal Vorurteile über Ausländer gehört und manche scheinen sich teilweise ja auch zu bestätigen. Das besagen auch viele Statistiken. Aber woran liegt das?
Genau danach sucht Christian Stahl in diesem Buch Antworten mit schockierendem Ergebnis: denn der deutsche Staat ist teils selbst schuld, dass die Ausländer nichts für ihn tun können, einfach weil sie die Erlaubnis dazu nicht erlangen. Damit wäre das Problem für die Ausländer geklärt.
Aber das Problem der Gesellschaft ist das weit verbreitete Unwissen über die Beschlüsse bezüglich von Flüchtlingen. Die wenigsten Menschen wissen, was eine Residenzpflicht überhaupt ist, obwohl dies das Leben der Flüchtlinge massiv bestimmt.

Aber wie kann es soweit kommen? Niemand wird gezwungen, kriminell zu werden. Das Problem ist aber, dass sich der Hass der Ausländer gegen die deutschen Behörden und so gegen das System richtet. Zurück können sie nicht, da sie keine Heimat mehr haben. Sie machen ihrem Ärger durch Straftaten Lust und bestätigen damit viele Deutschen wieder, indem sie die Vorurteile erfüllen. Natürlich gibt es auch viele Ausländer, die nicht auffällig werden bei Straftaten, aber dennoch gibt es erschreckend viele kriminelle Ausländer.

Um das Denken dieser kriminellen Jugendliche zu verstehen, ist dieses Buch perfekt geeignet, weil es ein Einblicke in das Leben eines solchen Menschen bietet: natürlich ist das Buch sehr subjektiv geschrieben, da der Schwerpunkt auf der Sicht der Ausländer liegt, aber dennoch kommen auch die Behörden und die deutschen Politiker zu Wort. Es ist kein Buch, das aufzeigt, wie schrecklich Deutschland doch ist, sondern es ist ein Buch, das aufzeigt, was für Missstände es in Deutschland gibt, für die sich aber niemand zuständig zu fühlen scheint. Es zeigt, dass jedes System seine Schwächen hat und dass man vor allem in dieser Richtung die Bestimmungen nochmal überarbeiten sollte.  
Auch in das Gefängnisleben man einen guten Einblick, da Stahl Yehya dort auch immer besuchte. Das Besondere ist, dass er ihn niemals aufgibt. Egal, was auch passiert, er hält weiterhin zu ihm und unterstützt auch seine Familie. Das finde ich zutiefst bewundernswert und zugleich auch in gewisser Weise sukrill.

Christian Stahl ist nicht einfach nur ein Journalist. Er selbst war der Nachbar von Yehya und begleitete ihn so schon früh in seinem Leben. Yehya beschreibt ihn selbst auch als Freund und sieht in ihm nicht nur ein Mittel zum Zweck, über das er sich vermarkten kann. Gerade durch diese intensive Beziehung der beiden fällt es dem Leser leichter, Yehyas Gedankengänge in gewisser Weise nachvollziehen zu können, da auch ihm Ungerechtigkeit widerfährt. Sein Potenzial, welches er in der Schule beweist, wird nicht unter den Teppich gekehrt, sondern wiederholt betont.
Stahl möchte zeigen, dass es Schwachsinn ist, ein Problem zu lösen, indem man versucht, die Wirkung einer Ursache zu verändern, aber die Ursache selbst beim Alten belässt.
Vor allem aber beweist dieses Buch, dass unsere Maßnahmen, um Ausländer auf den richtigen Weg zu bringen, die falschen sind, da diese für sie eine Auszeichnung sind bei ihren kriminellen Freunden. Aufgrund der Residenzpflicht kommen die Ausländer auch nicht aus ihrem alten Umfeld raus und sind so immer wieder mit der Kriminalität konfrontiert und zugleich ihrer hoffnungslosen Perspektive. Ein Teufelskreis, der beinahe zur Kriminalität motiviert.

Trotz der Subjektivität regt dieses Buch definitiv zum Nachdenken an und regt zugleich auch das Verständnis für Ausländer. Dieses Buch ist nicht als Entschuldigung gedacht, aber es bringt einem diese Menschen näher.
Die Botschaft dieses Buches: auch Ausländer verdienen es, den deutschen Staat durch ehrliche Arbeit bereichern zu dürfen.
Ein Gedanke, über den es sich definitiv nachzudenken lohnt.