Rezension

Zu lehrerhaft

Isch geh Schulhof - Philipp Möller

Isch geh Schulhof
von Philipp Möller

Meine Erwartung
Ich erwartete humorige Unterhaltung zum Thema Schulalltag, in der ein Brüller den nächsten jagt.

Zum Inhalt
So humorig ist die Angelegenheit denn doch nicht, eher erschreckend, wenn auch in gewissem Sinne hoffnungsvoll. Alltag in der Grundschule? Nun, ich bin froh, keine Kinder zu haben.

Die Schule
Vor über 35 Jahren, als ist zur Grundschule ging, gab es so etwas wie Integration noch nicht, weil es nichts zu integrieren gab.
So ganz stimmt das natürlich nicht, aber doch im weitesten Sinne.
Allerdings kann ich mir als Nichtmutter weit weg von Berlin nur schwer vorstellen, wie es ‚heutzutage’ zugeht. Deshalb hat mich dieser ‚Bericht’ einigermaßen verschreckt. Wenn das die zukünftigen Erwachsenen… blablabla.
Denn Philipp Möller liefert zuerst einmal eine Statusmeldung (die erschreckend ist), schildert seine Reaktion darauf und bietet Ansätze.
Meine Erkenntnis: nicht die Kinder machen die Schule, sondern die Lehrer. Ja, ich formuliere das ganz bewusst so provokant, denn der Autor zeigt ja an vielen Beispielen, dass sein Kampf gegen Windmühlen nicht ganz umsonst ist.
Wer aber ist der ‚Schuldige’? Die Lehrer, die Institution als solche, die Bildungspolitik oder die Eltern? Oder alle zusammen? Und wenn, wer kann den Karren denn dann aus dem Dreck ziehen? Meine Schlussfolgerung: die Lehrer.

Die Kinder
Wie kann man ein Kind für das verantwortlich machen, was es tut?
Ich will hier nicht alle Punkte des Autors wiederholen, lest selbst.

Die Lehrer
Herr Möller zeichnet ein beängstigendes Bild von den Lehrkräften. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber man fragt sich, wann diese verschlissen sind.

Die Bildungspolitik
Man kann gut kritisieren, wenn man selbst längst jegliche Motivation verloren hat. Und hier ein kleiner Vorwurf: warum engagiert sich Philipp Möller nicht weiterhin für ‚seine’ Schüler, wenn ihm so viel an ihnen liegt?

Der Autor
Die Intention von Philipp Möller ist es augenscheinlich, in diesem Buch seine Sicht der Dinge zu vermitteln, die zum Teil wissenschaftlich belegt sind, zum Teil philosophischen Ansätzen entsprechen. Er will aufzeigen und den Wunsch nach Besserung artikulieren. Das gelingt ihm gut, unterhaltsam und an Fallbeispielen sehr deutlich.
Mich irritierte jedoch häufig die Art und Weise. Zum Beispiel heißt es da: ‚Ich wollte nie so ein Lehrer sein…’, und ich frage mich: Warum nicht, wenn das doch ein richtiger Weg sein kann? Wenn es doch nun einmal so ist, dass Kinder Grenzen brauchen, klare Anweisungen, warum kann nicht mit der Faust auf den Tisch hauen (nicht mit dem Lineal!)? Er selbst praktiziert das, warum meint er, sich rechtfertigen zu müssen? Denn schließlich gibt der Erfolg ihm Recht.
Und es irritiert mich, wie einfach er sich aus dem Bildungswesen verabschiedet, ein Buch darüber schreibt und dann… Ja was? In wunderbar philosophischen Gedanken Forderungen verpackt?

Der Leser
Ich fühle mich im Regen stehen gelassen. Meine Erwartungen wurden nicht erfüllt, ich habe mich nicht scheckig gelacht. Im Gegenteil bin ich zutiefst ‚betroffen’ über das, was gerade anscheinend im Bildungswesen abgeht. Mir nützen die Informationen bloß überhaupt nichts. Soll ich mich jetzt ehrenamtlich als Hausaufgabenbetreuung anbieten?

Das Buch
Ein Buch, das davon handelt, welche Auswirkungen mangelnde Bildung haben kann, ist sinnvoll.
Ein Buch, das zu Toleranz und den Blick hinter die Kulissen aufruft, auch.
Und dieses hier ist dazu noch zeitweilig amüsant, allerdings auf Kosten von Menschen, die wenig bis gar nichts für ihr Tun können.

Der Stil
Amüsiert hat mich, dass der Autor das Wort ‚krass’ (im Sinne von: Ey, voll krass, Alta) benutzt. Färbt da ein wenig der Umgang ab?
Ansonsten schreibt Philipp Möller auf hohem Niveau, zitiert Studie und liefert einiges an Hintergrundwissen, ohne dabei auf sprachliche Eigenheit seiner Protagonisten zu verzichten. Der voll krasse Gegensatz hat mir amüsiert, echt ährlich!

Also?
Zwiespältig und nachdenklich bin ich. Mir tun die Kinder leid. Und die Kinder, die sie einmal haben werden. ABER: es gibt Beispiele dafür, dass sich Schulen am eigenen Zopf aus dem Sumpf gezogen haben, in dem sie steckten. Es gibt Projekte, in denen praktische Hilfe gegeben wird und ganz neue Wege gegangen werden. Ich möchte hier mal auf ‚Die Arche’ verweisen. Oder auf ein Projekt, bei dem Jugendliche das Theaterstück ‚Die Räuber’ von Friedrich Schiller einstudiert und aufgeführt haben. Die Dokumentation ist einfach anrührend.
Und deshalb freut mich der doch hoffnungsvolle Schluss.

Fazit?
Ich bin froh, dieses Buch gelesen zu haben, weil ich als definitiv nicht (mehr) direkt vom Schulwesen Betroffene anfange zu verstehen, warum es mancherorts so ist wie es ist.
Und ja, es hat mich gut unterhalten und wird mich noch eine Weile beschäftigen.