Rezension

Zum mitfiebern und mitleiden

Im Nordwind -

Im Nordwind
von Miriam Georg

Bewertet mit 4.5 Sternen

Anfang der 1900er Jahre lebt Alice in einer winzigen Wohnung im heruntergekommenen Arbeiterviertel Hamburgs. Ihr Ehemann Hank versäuft große Teile ihres und seines Lohns und prügelt seine Frau gerne mal halb tot. Verbote, Eifersucht und Mangel bestimmen ihr Leben, doch für ihre kleine Tochter Rosa will Alice stark sein.

Ganz anders sieht das Leben von John - typisch norddeutsch [jo:n] - Reeven aus. Seiner Familie gehören eine Bank, die Holsten-Brauerei und diverse Herrenhäuser. Er arbeitet engagiert als Anwalt und ist mit einer reizenden Frau verlobt. Bei der Armensprechstunde die er ehrenamtlich gibt, trifft er dann auf Alice. Sie will sich endlich scheiden lassen, doch John kann ihr keine großen Hoffnungen machen. Aber irgendetwas hat diese Frau, die sich trotz der kaum verheilten Spuren von Gewalt in ihrem Gesicht aufrecht hält und hartnäckig seine Hilfe einfordert.

Dieser Roman ist spannend und dramatisch und leidvoll und macht dabei einfach Spaß. Es ist leichte Unterhaltung zum mitfiebern und mitleiden. Das Setting im historischen Hamburg ist gelungen, die Figuren sind lebendig, vielleicht ein wenig schwarz/weiß aber so individuell, dass nie Verwirrung aufkommt. Ein Tick zu viel Leid und Unglück und verbotene Liebe war es mir manchmal. So ganz knapp vorm Augenrollen - aber das ist einfach mein persönlicher Geschmack. Ich habe mich trotzdem absolut gut unterhalten gefühlt.

Nebenbei macht die Geschichte noch deutlich, wie krass wenig Rechte Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts hatten. Wie bei Vergewaltigung oder häuslicher Gewalt die Schuld immer der Frau zugeschoben wurde: Das schwache aber verführerische Geschlecht, das nicht alleine für sich sorgen kann und männliche Führung braucht. Das zu lesen war wirklich hart. Auch wie unmenschlich die Arbeitsbedingungen teilweise waren oder wie anfällig und hilflos gerade die armen Teile der Bevölkerung Krankheiten ausgeliefert waren.

„Im Nordwind“ ist mitreißend geschrieben, ohne Längen, immer passiert etwas. Besonders gegen Ende folgt Unglück auf Unglück auf Unglück aber das macht ja irgendwie den Reiz des Ganzen aus. Und natürlich endet der Roman mit circa einer Million Cliffhangern. Was ist mit Rosa? Werden John und Julius sich für die Familiengeschäfte zusammenraufen können? Wie ist Blanche zu helfen? Wird Margaret schweigen? Und am allerwichtigsten: Was ist in Alice Vergangenheit noch passiert und wie wird ihr Prozess ausgehen?!

Bis Mitte Oktober muss ich nun auf den zweiten Teil der Saga warten – ewig lang zwar, aber das lasse ich mir nicht entgehen!