Rezension

Zwei Liebende im Schatten des Turms

Im Schatten des Turms - René Anour

Im Schatten des Turms
von René Anour

Bewertet mit 4 Sternen

Ich bin ein großer Fan von der Kulisse Wiens und historischen Romanen. „Im Schatten des Turms“ ist eine perfekte Mischung aus beidem – es hat mein Wienfanherz höherschlagen lassen und mich mit historischem Kontext gefüttert. Die Sprache ist leicht und fließend und der damaligen Zeit angemessen. Den österreichischen Dialekt den der Autor einfließen lässt, lässt den Leser noch mehr in die Geschichte eintauchen.

René Anour entführt uns ins das Jahr 1787. Alfred ist angehender Medizinstudent und fasziniert vom sogenannten Narrenturm – der ersten „Irrenanstalt“ der Welt. Was er dort sieht lässt ihn nicht los. Auf der anderen Seite Helene, eine junge Frau aus adeligem Hause, die von ihrem Vater vor der „Schlangengrube“ Schönbrunn beschützt wird. Die beiden begegnen sich – und wie es das Schicksal so will, verlieben sie sich. Doch sie werden beide einen hohen Preis für ihr junges Glück zahlen müssen.
Beide Charaktere wirken authentisch gezeichnet und ihre Handlungen sind ehrlich.  Auch Nebencharaktere wie beispielsweise den Kaiser Joseph, bekommen ausreichend Spielraum, drängen sich dabei aber nicht so sehr in den Vordergrund. Gerade nur so, dass man den ein oder anderen von ihnen in sein Herz schließt. Die Geschichte nimmt Fahrt auf und die Ereignisse überschlagen sich. Unterschwellig bekommt man mit, dass Krieg aufzieht und sich etwas Dunkles im Hintergrund zusammenbraut. Stück für Stück steigert sich die Spannung und die Liebe der beiden wird auf eine harte Probe gestellt. Durch die Perspektivwechsel fiebert man noch ein bisschen mehr mit und bekommt mehr und mehr Einblick in das Innenleben der Protagonistin. Helene entwickelt sich teilweise in eine Richtung die einen nichts Gutes ahnen lässt und geht ihren eigenen Weg. Die Verstrickungen sind wenig vorhersehbar und man erlebt als Leser die ein oder andere Positive als auch negative Überraschung. Der Autor hatte definitiv ein Händchen dafür den Leser auf die falsche Fährte zu leiten und die Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken. Doch gerade das macht eine gute Geschichte, in meinen Augen ein Stück weit aus. Im Schatten der Ereignisse ragt stetig der Narrenturm auf und wirft einen bedrohlichen Beigeschmack auf die Szenerie. An dieser Stelle hätte ich mir tatsächlich ein wenig mehr Input über die damaligen medizinischen Vorgehensweisen gewünscht.

René Anour schafft einen opulenten historischen Roman vor der fantastischen Kulisse Wiens. Die knapp über 650 Seiten mögen am Anfang etwas viel erscheinen, doch keine Seite ist ohne relevanten Inhalt für die Geschichte. Für mich ein großer Lesegenuss und eine Empfehlung für jeden der Wien liebt und an geschichtlichen Kontexten Interesse hat.