Rezension

Zwei Welten, eine Annäherung

Die Wunder von Little No Horse - Louise Erdrich

Die Wunder von Little No Horse
von Louise Erdrich

Bewertet mit 4 Sternen

Little No Horse, ein abgelegenes Reservat der Ojibwe Indianer. Dort lebte und wirkte über Jahrzehnte Father Damien Modeste. In unzähligen Briefen hatte sich der katholische Priester an den Papst in Rom gewandt, um über Vorkommnisse in seinem Wirkungsbereich zu berichten. Als ihm nun Father Jude zur Unterstützung geschickt wird, muss er befürchten, dass sein eigenes großes Lebensgeheimnis aufgedeckt wird.  Denn in Wahrheit ist Father Damien eine Frau.

Die amerikanische Schriftstellerin Louise Erdrich erzählt opulent, vielschichtig und sprachgewandt von den beiden Leben der Agnes DeWitt/Father Damien. Sie erzählt von einer sehr junge Agnes, die kurz als Nonne im Kloster war, über ihre obsessive Hingabe zur Musik und der eigenwilligen Beziehung zu einem deutschen Einwanderer. Eine lebenskritische  Situation dreht Agnes‘ Leben  um die eigene Achse. Sie nimmt die Identität eines katholischen Geistlichen an, übernimmt dessen Aufgaben und lebt von da an als Father Damien.

Es sind oft sehr skurrile Begebenheiten, von denen Erdrich erzählt, mit einer Fülle an „Personal“. Der grafische Stammbaum, der dem Buch voransteht, hilft die verzweigten und verschlungenen (Familien)Verhältnisse besser zu verstehen.

Ihre eigenen indianischen Wurzeln lassen die Autorin authentisch über die Kultur der Ureinwohner berichten. Spirituelle Naturreligion steht dem starren indoktrinierenden Katholizismus gegenüber. Doch es  ist nicht Bekehrung das Thema dieses Romans, ganz im Gegenteil. Gerade weil Father Damien uneins ist mit der eigenen Identität, kann er sich den Ojibwe unvoreingenommen, nähern. Ihr Zusammenleben ist geprägt von einer großen gegenseitigen Toleranz. Was  dem Priester nicht so schnell bewusst wird, ist, dass den Indianern sein Geheimnis gar keines ist, dass der Umgang mit „zwei Seelen“, nicht strikt zugeordneter Geschlechtszugehörigkeit, mehreren Bewusstseinsebenen nichts Fremdes ist.

Zwei Welten, eine Annäherung, ein wunderbar buntes Kaleidoskop an magischem Realismus, Mythen und dem Streben nach Akzeptanz.