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Stefan Weidles Buchtipp zum Indiebookday

Indiebookday

Indiebookmonat März - Buchempfehlung von Stefan Weidle

Der März ist unser "Indiebookmonat". In diesen Wochen präsentieren wir euch Bücher, die in unabhängigen Verlagen erschienen sind. Heute empfiehlt Stefan Weidle seinen persönlichen Favoriten aus dem Verbrecher Verlag.

Genau wie Daniel Beskos setzt sich auch der Verfasser des heutigen Buchtipps in besonderer Weise für Indietitel ein. Stefan Weidle ist nicht nur der Gründer des Weidle Verlags, sondern auch Vorstandsvorsitzender der Kurt-Wolff-Stiftung, die sich für die Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene in Deutschland einsetzt. Im Rahmen der Leipziger Buchmesse vergibt sie außerdem den Kurt Wolff Preis (dotiert mit 26.000 Euro), mit dem das Gesamtschaffen oder ein herausragendes Verlagsprogramm eines unabhängigen Verlegers geehrt wird. Bei diesem Engagement für Indietitel lag es nahe, Stefan Weidle um seine persönliche Buchempfehlung zu bitten, und wir freuen uns sehr, dass er sofort zugestimmt hat.

Stefan Weidle empfiehlt: Gunnar Gunnarsson: "Vikivaki" (Verbrecher Verlag, 2011)

Die Dänen sind an allem schuld. Sie haben sich für die Silvesternacht etwas Besonderes ausgedacht, nämlich um Mitternacht zwei Luren einen Höllenlärm im Radio veranstalten zu lassen. Luren sind bronzezeitliche Blechblasinstrumente, deren Klang offenbar dem der Posaunen des Jüngsten Gerichts zum Verwechseln ähnelt. Und dies wird dem armen Isländer Jaki Sonarson, der sich eine ruhige Residenz in einem abgelegenen Waldstück gekauft hat, zum Verhängnis. Denn um sein Haus herum gab es einstmals einen Friedhof. Auf den er nie sonderlich geachtet hat, aber jetzt halten die Toten diese Töne für ihr Signal und den ahnungslosen Joki für den lieben Gott, der sie richten soll. Keine einfache Aufgabe, zumal die Toten unterschiedlichen Zeiten entstammen und nicht allzu vollständig sind: Einem etwa fehlt der Kopf, was die Kommunikation mit ihm nicht eben erleichtert, und einem anderen fehlt der Körper, dafür aber ist der Kopf, Grettir, Held einer berühmten Saga und hält sich noch immer für unwiderstehlich, ohne aber aufgrund seiner Handicaps wirklich Erfolg bei der angebeteten Toten zu haben.

Kurzum: Genial ausgedacht. Eine Geschichte, die so anfängt, liest man weiter, verrät aber als Rezensent nichts. Außer vielleicht noch, daß man auf fast jeder Seite überrascht wird vom Erfindungsreichtum und der Virtuosität des Erzählers. Wenn Literatur dann besonders gut ist, wenn sie dem Leser in allen seinen Antizipationen weit voraus und allzeit überlegen ist, dann ist dieser kurze Roman große Literatur. In jeder anderen Hinsicht übrigens auch.

Gunnar Gunnarsson kam 1889 zur Welt, um Schriftsteller zu werden. Was in Island alles andere als einfach war, denn es gab zu wenige Leser, um Bücher auf isländisch kostendeckend drucken zu können – die Bibel und die Sagas natürlich ausgenommen. Also schrieb Gunnar Gunnarsson seine Werke auf dänisch, sie wurden erst später, teils von ihm selbst, ins Isländische übersetzt. Vikivaki erschien 1932, der Titel bezieht sich auf einen isländischen Tanz, der von der Kirche nicht geduldet werden konnte, und tanzende Tote sind der Kirche bekanntlich generell suspekt. Selbst wenn sie am Ende des Buches alle, sogar Hund und Pferd ... (nein, die Fingerkuppen bleiben versiegelt). Gunnar Gunnarsson ist einer der großen Trias, die am Anfang der isländischen Literatur stand, außer ihm umringten die betreffende Wiege noch Halldór Laxness (1902–1998) und Thorbegur Thordarson (1888 oder 1889 bis 1974). Sie kamen aus dem Nichts und sprangen ins Zentrum der Moderne. Alle drei sind große Erzähler, von Anfang an mit allen literarischen Wassern gewaschen, von denen man nicht ahnen konnte, daß sie in Island flossen. Was sie aber in den Sagas, die ja alles andere als Heldensagen oder derlei sind, jedoch taten. Dort gibt es bereits jene überraschenden Wendungen, jene Sprünge, Wirbel und Stromschnellen wie später bei den drei Literaturhelden. Es ist schon grandios, was diese auf den Weg gebracht haben, 1955 wurde (und man möchte nur zu gern hinzufügen: stellvertretend für alle drei) Halldór Laxness der Nobelpreis verliehen. Jedem ist in Island ein eigenes Museum gewidmet, am schönsten ist das für Thorbergur Thordarson (der es mir, ich gesteh's,  so sehr angetan hat, daß ich ihn unbedingt verlegen muß). Die Generationen nach ihnen mußten sich schon anstrengen, da anzuknüpfen, aber das gelang, und die isländische Literatur ist heute so ziemlich die interessanteste, die ich kenne. Eines meiner Lieblingsbücher sei, da gleichfalls in einem Independent-Verlag (Transit) erschienen, noch genannt: Taxi 79 ab Station von Indridi G. Thorsteinsson (übersetzt von Betty Wahl), das sich liest wie ein Film-Noir-Roadmovie (was es nie gegeben hat außer in diesem Buch). Indridi G. Thorsteinsson wurde 1922 geboren, gehörte also der nächsten Generation an, reicht aber noch in die übernächste, denn sein Sohn ist der bekannte Krimi-Autor Arnaldur Indridason. Aber jetzt lesen wir erst mal Vikivaki. Und dann Islands Adel von Thorbergur Thordarson und danach Am Gletscher von Halldór Laxness. Die Phase der Suchtbildung dürfte damit abgeschlossen sein.

Habt ihr Lieblings-Indieverlage?

Kommentare

Ichbinswieder kommentierte am 12. März 2014 um 17:22

Ich lese gerne "Indie", und auf meinem Blog findet momentan zufällig auch der "Indie and Unknown"-Monat mit wöchentlicher Verlosung statt.
Bei Interesse, einfach mal hier schauen: lesenundmehr

Ich persönlich lese sehr gerne Bücher aus den Oldigor Verlag, dem Drachenmond Verlag oder dem Sieben Verlag, wobei letzterer vermutlich nicht mehr unter Indie fällt.

bundc kommentierte am 15. März 2014 um 16:33

Für mich ist der Sieben Verlag auch kein Indie mehr im eigentlichen Sinne. 

So, jetzt mal ab auf deinen Blog ;-)

heike_e kommentierte am 12. März 2014 um 19:23

Das Buch hört sich toll an. Danke für die Empfehlung.

kleinemaus kommentierte am 12. März 2014 um 20:35

Ich finde diese Reihe zum "Indie-Book-Day" echt schön - und man bekommt soviele tolle Verlage und Bücher aufgezeigt, welche man sich am liebsten sofort zulegen würde :) Daumen hoch von mir!

 

 

HeyDiandra kommentierte am 13. März 2014 um 09:01

Das Buch klingt äußerst interessant. Setze ich mit auf meine Liste :)

marsupij kommentierte am 13. März 2014 um 18:03

Danke für den schönen Artikel!

Heinz60 kommentierte am 13. März 2014 um 19:57

Das Buch hört sich interessant an. Verlag war mir bisher nicht bekannt - weitere Vorstellungen von Bücher und Autoren kann Ich nur begrüßen :-))