Rezension

5 Jahre aus dem Gedächtnis verloren

Was wir sehen, wenn wir lieben -

Was wir sehen, wenn wir lieben
von Kristina Moninger

Bewertet mit 3 Sternen

Es sieht alles danach aus, als ob Teresa aus der Discothek „Harry Klein“ gekommen ist und unter Drogen- oder unter Alkoholeinfluss stand. Sie stürzt die Treppe zur U-Bahn hinunter und ist kurze Zeit bewusstlos. Als der Sanitäter vor Ort sie nach ihrem Namen fragt, kann sie sich problemlos an diesen erinnern. Sie kann sich jedoch nicht daran erinnern, warum sie eine Tätowierung auf dem linken Handgelenk hat, warum ihr Handy ein iPhone ist, eigentlich hat sie doch ein altes Samsung und warum sie mit der U-Bahn fahren wollte, wo sie doch ein Auto (namens Möhre) hat. Als der Sanitäter sie dann danach fragt, welches Jahr es ist, antwortet Theresa „2014“.

Das Letzte woran sie sich erinnern kann, ist das zufällige Treffen mit ihrem Ex-Freund Henry und die Verabredung, die sie getroffen hatten. Aber das war in Schwabing und wieso befindet sie sich jetzt am Stachus? Teresas Gehirn hat – bedingt durch den Sturz – die Zeit zwischen dem 25. Juni 2014 und Mai 2019 einfach ausgeblendet.

Teresa erkennt nichts mehr wieder – weder ihre Eltern, noch ihre ältere Schwester, ihre teure (Eigentums-)Wohnung ist ihr fremd, mit dem nackten Mann, der bei ihrem Eintreffen unter der Dusche steht, verbindet sie überhaupt nichts, ihre Haarfrisur ist anders als gewohnt und wieso leitet sie eine Kunst-Galerie und arbeitet nicht mehr im Tattoo-Studio?

Fragen über Fragen und Teresa weiß nicht, wie sie mit den ganzen Erinnerungslücken umgehen soll. Sie weiß nicht, warum ihre beste Freundin nicht mehr ihre beste Freundin und warum Henry sauer auf sie ist. Mit Hilfe ihrer Eltern, ihrer Schwester, ihrem „Verhältnis“ Lars und nicht zuletzt Henry, sucht sie Puzzleteil für Puzzleteil zusammen, bis sich irgendwann dann wieder alles zu einem großen Ganzen zusammenfügt.

Es gibt einen Grund, warum Teresas Gehirn genau diese fünf Jahre ausgeblendet hat und nicht vier Jahre, oder sieben.

Teresa Kempf ist 27 Jahre alt und lebt in München. Sie ist Galeristin in der New Art of Munch. Früher zeichnete sie mit großer Leidenschaft und arbeitete in Bennos Tattoo-Studio. Neben dieser Arbeit tätowierte sie an Brustkrebs erkrankten Frauen neue „Brustwarzen“.

Von Henry Bayer weiß ich gar nicht, wie alt er ist. Ich glaube, es wird nicht wirklich erwähnt, oder ich habe es überlesen. Henry hat eine Autowerkstatt in Pasing und restauriert Oldtimer. Teresa und er waren einmal ein Paar, aber aus Gründen, die Henry auch heute noch nicht nachvollziehen kann, hat Teresa die Beziehung von jetzt auf gleich beendet.

Teresa und Henry sind die Haupt-Akteure in dieser Geschichte des sich-wiederfindens. Als Nebencharaktere agieren Sophie, Teresas Schwester, ihre Eltern, Lars (der nackte Mann unter der Dusche), Clara, Theresas Assistentin aus der Galerie und Benno, dem das Tattoo-Studio gehört, in dem Teresa gearbeitet hat.

Die Geschichte wird auf 2 Ebenen erzählt. Im ersten Handlungsstrang begleitet der Leser Teresa im Hier und Jetzt auf ihrer Suche nach Erinnerungen, während im 2. Handlungsstrang Henry Rückblicke auf ihre gemeinsame Zeit gibt.

Ich frage mich, wie ich reagieren würde, hätte ich 5 Jahre meines Lebens aus dem Gedächtnis verloren. Das ist etwas, was ich mir gar nicht vorstellen möchte, trotzdem könnte es – bei einem entsprechenden Vorfall/Unfall – jederzeit passieren.

Teresa tut mir leid. Sie versucht Antworten auf ihre Fragen zu bekommen, die Gefragten reagieren mitunter schroff und ablehnend und Teresa hat keine Ahnung, warum das so ist. Ihr fehlen die letzten 5 Jahre Erinnerung – dem jeweiligen Gegenüber nicht, und das macht die Sache für beide Seiten sehr schwer.

Nur weil Teresa mir leid tut, bedeutet das aber nicht automatisch, dass ich sie auch sympathisch finde. Das tue ich nämlich nicht. Ich kann noch nicht einmal beschreiben, warum das so ist, aber ich habe tatsächlich ein paar Seiten lang überlegt, ob ich das Buch überhaupt fertig lesen möchte. Erst als Henry auf der Bildfläche erscheint und die Story durch seine Rückblicke an Tiefe gewinnt, kann ich mich auf diese Geschichte einlassen. Henry ist charmant, witzig und überaus sympathisch.

Auch kann man Teresas Eltern bzw. ihre Mutter witzig finden, ich fand sie einfach nur peinlich und auch die WhatsApp-Korrespondenzen zwischen Teresa und ihrer Assistentin Clara, die aufgrund der immer wieder zuschlagenden Autokorrektur von Claras Handy jeglichen Sinn verloren haben, konnten mir noch nicht einmal ein Schmunzeln entlocken. Humor ist ja – Gott sei Dank – individuell verschieden.

Der Schreibstil der Autorin ist angenehm und flüssig zu lesen und nachdem ich mich auf die Geschichte einlassen konnte, habe ich das Buch auch sehr schnell beendet. Es hat mich berührt, wie Teresa nach und nach die Zusammenhänge herstellen konnte, ihr Gehirn hat da eine sehr sehr schmerzliche Sache ausgeblendet, aber ich kann es nicht nachvollziehen, dass Teresa tatsächlich deswegen allen Menschen in ihrem Umfeld vor den Kopf gestoßen hat.

Leider konnte mich die Geschichte emotional nicht mitreißen, trotzdem hat es mich nicht kalt gelassen was Teresa passiert ist und wie sie mit der Situation umzugehen versucht.