Rezension

Abdriften in phantastische Welten

Drifter -

Drifter
von Ulrike Sterblich

Bewertet mit 5 Sternen

Wenzel und Killer sind seit Kindheitstagen befreundet, inzwischen erwachsen, beruflich gut situiert und, ehemals aufgewachsen in einem Hochhaussilo, jetzt schick wohnhaft im sog. gentrifizierten Teil der Stadt. Bei einem Gewitter wird Killer vom Blitz getroffen. Von da an ist nichts mehr wie es war und ein wild phantastischer Ritt durch das Leben der beiden Freunde beginnt.

Wenzel und Killer sowie ihre Verwandten, Kollegen, Nachbarn, kurz: ihr gesamtes soziales Umfeld, treffen auf die geheimnisumwitterte, mit "altertümlich aristokratischem Profil" versehene Vica, "sie hatte diese jugendliche Alterslosigkeit, die Verrückte oft haben", deren "Adjutanten" Heurtebise, die aufgebrezelte attraktive Jezebel Guevara und deren riesigen Zottelhund, der tanzen kann, intelligent und so wohlerzogen ist, dass er sogar das WC benutzt.

Zwei Etagen des ehemals öden Wohnblocks, Kindheitsstätte von Wenzel und Killer, werden von Vica und ihrer skurrilen Gefolgschaft zu einer silbern glitzernden Partylocation umfunktioniert, in der exzessiv gefeiert wird. So nimmt die Story ihren Lauf, driftet von einem surreal anmutenden Setting zum nächsten. Ständiges Thema ist dabei der neue Roman des ominösen Schriftstellers H:P Drifter mit dem Titel "Elektrokröte", den Vica schon vor Veröffentlichung beiläufig liest.

Ist Vica etwa selbst Drifter ? Was soll real, was irreal sein in diesem Roman ? Klingt alles ziemlich schräg und abgedreht, ebenso wie der Social Media Channel "Los Videos", den Vica betreibt. Das Ganze fand ich gerade wegen seines im wahrsten Sinn des Wortes urkomischen Irr-sinns sehr unterhaltsam. Die Protagonisten empfand ich als sympatisch, schillernd, skurril. Der Plot ist geradezu ver-rückt, abgedreht und sehr phantasievoll ausgedacht. Der Schreibstil frech, unkonventionell, modern.

Aber um was geht es eigentlich ? Jedenfalls wird der durch Medien aller Art oft ausgelöste Hype, etwa um Börsenkurse, die sog. Immobilienblase, smartwatches zur Lebensoptimierung, Influencer, den Literaturbetrieb, thematisiert wie auch die sog. sozialen Medien, online-Foren und sonstigen Medien selbst, und das auf eine Art und Weise, die in ihrer Abgedrehtheit so herrlich witzig ist, das es schon wieder genial ist: Eine Satire auf unsere von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz immer mehr beherrschten Welt. Und immer wieder stellt sich der Leser die Frage: Was ist hier real, was nicht, ist es gar ein Märchen, was hier erzählt wird ? Wo verläuft die Grenze zwischen analoger und digitaler Welt, auf welcher Seite, der analogen oder der digitalen, wandeln die handelnden Figuren gerade?

Etwas, und das habe ich als Botschaft aus diesem Roman gezogen, ist jedenfalls real geblieben: Die Freundschaft zwischen Wenzel und Killer. Für mich ein Lesehighlight 2023. Ein herrliches Lesevergnügen, das ich sehr genossen habe ! 5 Sterne und eine große Leseempfehlung.