Rezension

Afrodeutsche Schwestern - und ihre Wurzeln im Senegal

Weiße Wolken -

Weiße Wolken
von Yandé Seck

Bewertet mit 5 Sternen

Dieo Rosenbaum, Tochter einer deutschen Psychotherapeutin und eines Senegalesen, hat ihrer Mutter nachgeeifert und arbeitet parallel zur eigenen Lehranalyse als angestellte Therapeutin für Kinder und Jugendliche. Das Angebot einer Praxisgemeinschaft eröffnet ihr  aktuell den Schritt in die Selbstständigkeit mit eigenen Praxisräumen. Privat lebt sie gemeinsam mit drei Kindern und Simon, den ein  Job im Bereich „Assets &Coins“ an die Push-Nachrichten seines sehr jungen und sehr hippen Chefs kettet. Von ihrer jüngeren Schwester Zazie trennen Dieo nur 7 Jahre;  die aktuell mit ihrer senegalesischen Seite befasste, höchst kritische Zazie scheint jedoch einer völlig anderen Generation anzugehören.  Zazie arbeitet noch als Sozialpädagogin in einem Jugendzentrum, hat jedoch gerade ein Masterstudium abgeschlossen.  Beide Töchter konnten bisher offenbar die Ansprüche ihrer Mutter  an die Karrieren ihres Nachwuchses nicht erfüllen.  Als Mutter Ulrike kurz vor dem Rentenalter endlich wagt, die Weihnachtspläne ihrer eigenen Mutter zu boykottieren, konfrontiert das die Töchter mit ihrer hochbetagten schlesischen Großmutter, die zugleich Uralt-Linke wie Antifeministin zu sein scheint. 

Da ich über Roman-Figuren stets sofort so viel wie möglich erfahren will, war ich an diesem Punkt des Romans höchst unzufrieden, weil ich weder erfahren hatte, welche persönlichen und beruflichen Motive Zazie für ihr Masterstudium hatte, noch wer Dios Freundin Winta ist und was beide Frauen verbindet. Dass der wechselnde Focus des Romans sich neben Dieo und Zazie auch auf Simon Rosenbaum richtet, konnte  zum Glück meine Neugier wecken, welche Rolle dem Vater dreier Söhne zwischen 4 und 15 zugedacht war. Dieo hatte beobachtet, dass das psychologische Modell „abwesender Vater“ offenbar  längst von der Realität eingeholt ist. Ihre Eltern bereits hatten – abwesend für ihre Kinder - Ikonen gehuldigt (Freud/Nietzsche); am Beispiel ihrer jugendlichen Klienten erlebt sie gerade eine Generation  depressiver,  „toter“ Mütter. Als Papis, der Vater der Schwestern, überraschend auftaucht, kommt es zu einer Reise „zu den Wurzeln“ in den Senegal  - und mehr als einer überraschenden Wende im Leben der Schwestern.

Hauptfiguren in Yandé Secks Roman eines afrodeutschen Familienclans sind drei Therapeutinnen/Pädagoginnen mit unterschiedlichen Berufswegen; die Autorin hat spürbar Erfahrung im Milieu, das sie beschreibt. In der unmittelbaren Gegenwart (nach Pandemie und Ausbruch des Ukrainekriegs) geht es neben hippen Lebensumständen, woken Sprechblasen  u. a. um Schwesternschaft, Mutterschaft, unerwartete Vaterqualitäten, Rassismus und Misogynie im Beruf, sowie Freud und Leid einer senegalesischen Großfamilie. Besonders erheitern konnte  mich Dieos Sprachästhetik als ironische Spiegelung des Markennamen-Droppings, Infodumpings und Erklär-Bär-Getues, das mich zu Anfang des Romans die Augen verdrehen ließ.

Insgesamt ein berührender, humorvoller Roman um gegensätzliche afrodeutsche Schwestern, ihren Clan - und hinreißende Nebenfiguren.