Rezension

Antisemitische Agitation

Die Konitzer Mordaffäre - Herbert Beckmann

Die Konitzer Mordaffäre
von Herbert Beckmann

Bewertet mit 5 Sternen

Im März 1900 werden am Mönchsee in Konitz Leichenteile des Schülers Ernst Winter gefunden. Bald schon sind Polizei und Justiz überfordert. Der Verdacht, dass die Juden den Schüler rituell haben ausbluten lassen, führt dazu, dass die Antisemiten alles tun, um die Ermittlungen in die gewünschte Richtung zu bringen. Selbst die Unterstützung aus Berlin kann nicht mehr aufhalten, was sich dann zur Konitzer Mordaffäre entwickelt.

Dieses Buch ist leicht und flüssig zu lesen. Die Geschichte ist tatsächlich geschehen. Erzählt wird sie aus unterschiedlichen Perspektiven. Zunächst wird aus der Perspektive des Bürgermeister Deditius, der gleichzeitig der Chef der örtlichen Polizei ist. Da er nicht als Polizist ausgebildet ist, beruft er einen gerade erst pensionierten Polizisten wieder zurück in den Dienst. Der macht eine fatale Bemerkung am Fundort „der Körper ist vollkommen blutleer“, was die Gaffer mitbekommen. Diese Bemerkung setzt eine Spirale von Verleumdung, Falschaussagen und Interpretationen in Gang, die einen Ausblick auf kommende antisemitische Ausschreitungen gibt.

Während der Bürgermeister die Klärung sachlich angehen will, hat der Staatsanwalt sehr schnell eine vorgefasste Meinung. Er hat sein Ohr am Volk und schnell ist der Täter ausgemacht. Es kann nur ein Jude sein, der Ernst Winter geschächtet hat. Auch der Kreisphysikus Dr. Müller bestätigt diese Annahmen, obwohl er nicht qualifiziert war. Die Zeitung greift die Meinung der Bürger auf und verstärkt dadurch noch die Gerüchteküche. Als eine erkleckliche Summe auf die Ergreifung des Täters ausgesetzt wird, wird dem Denunziantentum Tür und Tor geöffnet.

Dann lernen wir die Perspektive des jungen Berliner Kommissar Wehn kennen, der auf Wunsch des Bürgermeisters nach Konitz kommt. Aber auch er kann den Täter nicht fassen, denn die Vielzahl von Hinweisen behindern die Ermittlungen.

Dann soll es der erfahrene Inspektor Braun richten. Wir lernen auch seine Sichtweise kennen. Seine privaten Probleme lassen ihn auch in Konitz nicht los. Er lässt erstmal die Beweisstücke von Fachleuten und die Leichenteile von einem Pathologen untersuchen. Aber es ist zu spät! Die Agitationen gegen die jüdischen Mitglieder der Gemeinde sind in Gang gesetzt und lassen sich nicht mehr aufhalten. Furchtbare Gewaltexzesse geschehen in Konitz, der Mob ist nicht mehr zu bändigen. Selbst die Synagoge wird angezündet. Sogar das Militär wird eingesetzt, um die jüdischen Bewohner zu schützen.

Es ist erschreckend, wie Getratsche, Gerüchte, Falschaussagen und vorgefasste Meinungen zu dieser schrecklichen Katastrophe führen, die einen Vorgeschmack auf spätere Pogrome liefern. Selbst sachliche Argumentation und Fakten kommt nicht an gegen üble Nachrede und Denunziantentum. Ist erst einmal das Flämmchen entzündet, kommt es schnell zu einem Flächenbrand.

Ich hatte einen Krimi erwartet und wollte gerne die Ermittlungsarbeit jener Zeit kennenlernen. Aber ich habe einen schrecklichen Tatsachenbericht erhalten, der die Abgründe der Menschen zeigt. Trotzdem oder gerade deshalb war die Geschichte spannend, aber auch erschreckend und bedrückend.

Ich kann dieses Buch nur empfehlen.

Kommentare

kommentierte am 25. September 2015 um 17:42

Danke für die interessante Vorstellung,

Grüße von der Stickfee