Rezension

Weniger Krimi als Studie zur Entstehung von Massenwahn

Die Konitzer Mordaffäre - Herbert Beckmann

Die Konitzer Mordaffäre
von Herbert Beckmann

Konitz in Westpreußen im Jahr 1900. Der Gymnasiast Ernst Winter wird ermordet, seine Leiche zerstückelt und nach und nach an verschiedenen Stellen der Kleinstadt entdeckt. Da der Torso in der Nähe der Synagoge gefunden wird, kommt schnell der Vorwurf des Ritualmordes auf, den die Juden an dem unschuldigen Schüler verübt haben sollen. Zwei nacheinander aus Berlin herbeigerufene Kriminalbeamte ermitteln sachlich und finden keinerlei Beweise für jüdische Täter, doch die Volksseele kocht, angeheizt durch ein selbsternanntes Bürgerkomitee und die für damalige Verhältnisse exorbitant hohe Belohnung, die zur Ergreifung des Täters ausgesetzt wird. Allen Ermittlungsergebnissen zum Trotz entlädt sich die Stimmung in einem Pogrom, dem die Synagoge zum Opfer fällt. Letztendlich kann nur ein fragwürdiges Urteil gegen einen jüdischen jungen Mann die aufgehetzte Volksseele beruhigen, allen sachlichen Ermittlungsergebnissen widersprechend.

Das alles ist leider keine Fiktion des Autoren Herbert Beckmann, sondern die fürchterliche Realität des Jahres 1900. Aller Aufklärung zum Trotz konnte der Antisemitismus bereits 33 Jahre vor Adolf Hitler solche Auswüchse hervorrufen. Durch seine multiperspektivische Darstellung (der Bürgermeister, die beiden Kriminaler und ein Journalist) gelingt es Beckmann, die brodelnde Stimmung in der westpreußischen Kleinstadt zu beschreiben, die aus jüdischen Mitbewohnern eine gejagte Minderheit macht.

Anders als im Roman, der eine nahe liegende Auflösung des Falles andeutet, blieb der Originalfall ungelöst.

 

Kommentare

kommentierte am 25. September 2015 um 17:40

Hört sich sehr interessant an. Auf die WL damit und vielen Dank für die Vorstellung!

Grüße von der Stickfee!