Rezension

Berlin deine Künstler

Charlotte Berend-Corinth und Lovis Corinth - Margret Greiner

Charlotte Berend-Corinth und Lovis Corinth
von Margret Greiner

Bewertet mit 3.5 Sternen

Wie gern würde ich einmal wie in dem Woody Allen Film „Midnight in Paris“ in eine Epoche meiner Wahl springen und dem bunten Treiben als Zeitzeuge beiwohnen. Neben der Antike im hellenistischen Zeitalter und den goldenen Jahren des französischen Sonnenkönigs wäre auch unbedingt Berlin in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dabei. Es ist so beeindruckend, beschäftigt man sich erst einmal mit dieser Zeit aus verschiedenen Blickwinkeln, wie vielseitig und vielschichtig das Leben in Berlin um die Jahrhundertwende, während der Zeit des 1. Weltkrieges und der goldenen Zwanziger Jahre war.

Charlotte, die aus einem gutbürgerlichem Berliner Elternhaus stammt und eine behütete Kindheit erleben durfte, in der ihre Talente sogar gefördert wurden, findet in dem viel älteren Maler Lovis Corinth einen Weggefährten, der ihr zwar die Türen zur Berliner Kunstszene weit öffnet, sich aber die Freiheit herausnimmt, in seiner Frau vor alle die Familien- und Kunstmanagerin zu sehen statt die gleichberechtigte Künstlerin.

Margret Greiner lässt den Leser am farbenfrohen, lebendigen, konfliktreichen Leben der „Corinther“ auf eine kurzweilige, anschauliche Art und Weise teilhaben, die selbst mir Biografie-Muffel ein ungeduldiges Stirnrunzeln entlockte, sobald man mir eine Unterbrechung meiner Lektüre aufzwang. Lovis Corinths Bilder sehe ich plötzlich mit ganz anderen Augen und bedauere es zutiefst, dass von Charlotte so wenige ihrer Werke erhalten und überliefert sind. Das Internet spuckt vor allem die Vielzahl ihres Porträts mit Lovis' Pinselstrich aus. Dass sie eben nicht nur die Ehefrau des bekannten Malers war, dafür steht Margret Greiners Romanbiografie.

Wie ein roter Faden zieht sich eine Beobachtung meinerseits durch die letzte Handvoll der von mir gelesenen Bücher. Es ist die Frage nach dem Etikett für das jeweilige Buch, den jeweiligen Text, den jeweiligen Protagonisten. Der unbewusste Drang des Lesers eine Zuordnung, Einordnung zu treffen. Charlotte Berends Biografie zeigt, wie kurzgedacht dieser Ansatz ist. Weil ihr Leben nicht allein der Kunst gewidmet war, sondern sie sich ganzheitlich austoben wollte und sich ebenso nicht den Pflichten des Alltags komplett entziehen konnte und auch wollte. Sie war Malerin, Künstlerin, Ehefrau, Geliebte, Model, Mutter, Hausfrau (im gehobenen Stil, wer von uns heutigen Frauen vermag schon über eine Schar von Dienstpersonal verfügen), Theaterfan, Tanzliebhaberin, Hutträgerin und Kämpferin bis zuletzt.

Ich nehme viel aus diesem Text mit in meinen Alltag, sehe das Buch als Anregung, mich noch näher in die Materie einzulesen und hoffe auf einen magischen Moment, der mich auf einen der rauschenden Secessionsbälle mitten hinein die Kunstszene Berlins entführt.