Rezension

Berührende Familiengeschichte vor dem Hintergrund des österr. Kaiserreichs

Über Carl reden wir morgen -

Über Carl reden wir morgen
von Judith W. Taschler

Bewertet mit 5 Sternen

100 Jahre - 3 Generationen - auf der Suche nach Glück

In ihrem neuesten Familienroman „Über Carl reden wir morgen“ schildert Judith W. Taschler das Leben der Familie Brugger, ihrer Freunde und Feinde im österreichischen Mühlviertel, Wien und Amerika während der Kaiserzeit bis hin zum Ende des ersten Weltkriegs.

Die Geschichte beginnt ca. 1820, als mit Anton die erste Generation der Familie Brugger eine Getreidemühle im Mühlviertel - einer damals rückständigen „hinterwäldlerischen“ Region in Österreich - übernimmt.

Antons Schwester Rosa ist die erste, die ausbricht - eigenmächtig vom Dorf in die große Stadt Wien zieht - um dort ihr Glück zu suchen. Ein Schicksalsschlag - Antons Frau stirbt - bringt sie zurück ins Mühlviertel, wo sie als resolute, moderne, Glück bringende Ersatzmutter von Antons Kindern wirkt. Sie unterstützt Albert im Aufbau eines modernen Kaufhauses für das vernachlässigte Mühlviertel und hält auch die Fäden der Familiengeschicke und Hochzeitskandiaten*innen mit wachem Auge und scharfem Geist in der Hand. 

Aus Alberts Familie lernen wir seine 4 Kinder, darunter die Zwillinge Eugen und Carl näher kennen, erkunden mit ihnen die österreichischen Städte, studieren, ziehen in den 1. Weltkrieg und wandern nach Amerika aus - jedem Familienmitglied folgen wir auf seiner „Reise“ vom beschaulichen Mühlviertel in die große, weite, vielversprechende , aber auch böse Welt. Besonders der erste Weltkrieg und die Auswanderungsthematik sind toll recherchiert und man erfährt viel historisches. Herausstellend ist, dass die Familie trotz aller Schicksalsschläge zusammenhält - das geht sogar soweit, dass Eugen letztendlich auf sein persönliches Glück verzichtet, damit sein Zwillingsbruder Carl - nach einem speziellen Kriegsvorfall- wieder in Freiheit leben und seine Liebe heiraten kann.

Judith W. Taschler hat ein unglaublich atmosphärisches Familienepos vor historischen Hintergrund gesponnen. Die Bruggers sind eine eingeschworene Sippe - beinahe alle Familienmitglieder brechen auf, aus der idyllischen, ländlichen Heimat in die österreichischen Großstädte oder nach Amerika. Carl und Gustav müssen aufbrechen, sie ziehen in den 1. Weltkrieg. Nahezu alle kehren letztendlich zurück zur Hofmühle. Jeder versucht in der Fremde sich im Leben zurechtzufinden, sein Glück zu machen - um festzustellen, sie können es nicht festhalten. 

Besonders gut gefallen hat mir die Erzählweise, aus den jeweiligen Perspektiven der Charaktere der drei Generationen berichtet die Autorin unaufgeregt und profund recherchiert rückwärts, was immer wieder für geniale Überraschungen sorgt. Denn erst „morgen“ bzw. später erfährt der Lesende - durch die Perspektive eines anderen Charakters oder eines geschickten Erzählkniffs was tatsächlich geschehen ist oder was dies tatsächlich beim anderen bewirkt hat. Dieser Roman zeigt, obwohl er im 19. & 20. Jahrhundert spielt, unser aller Kampf mit dem Schicksal und der Suche nach Glück - auch heute noch. Er zeigt die Abgründe und Gewalt, wie auch die Liebe und Großzügikeit zu der wir Menschen fähig sind - eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle die Familienromane lieben - und für alle anderen eigentlich auch.

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[Cover des Buches Über Carl reden wir morgen]