Rezension

Die frühen Spuren der Emanzipation

Wo Licht ist - Sarah Moss

Wo Licht ist
von Sarah Moss

Ein Bild zeigt zwei junge Mädchen. Gelangweilt rekeln sie sich auf einem großen Sessel, zarte Stoffe umspielen ihre jungen Körper, alles wirkt zart, doch der Blick der Mädchen ist kühl. Besonders der, des älteren Mädchens hat eine Härte, die der Maler eingefangen und für die Ewigkeit in seinem Bild eingeschlossen hat. Das Mädchen ist Ally, die Tochter eines bekannten Malers des 19. Jahrhunderts. Gemalt wurde sie gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester. Sie standen viele Male Modell für den Vater Alfred Moberly oder dessen besten Freund. Etwas, was die Mutter der Mädchen gar nicht gern sah. Für sie ist die Kunst ihres Mannes Dekadenz in Reinform und ihr Mann ein verschwendungssüchtiger Träumer. Sie gönnt weder sich noch ihren Töchtern ein ihrem Stand und Einkommen entsprechendes Leben. Alle Annehmlichkeiten hält sie für überflüssig und fokussiert sich fast bis in den Wahn auf die mittellosen und geächteten Frauen der Gesellschaft. Sie arbeitet unermüdlich im Armenhaus, betreut misshandelte Frauen, traumatisierte Mädchen von der Straße und hungernde Waisen. Ihr Groll gegen das System sitzt tief und für sie ist der Verursacher des Leides ganz klar: Der Mann.
Sie bewegt sich zunehmend in den Kreisen von Frauenrechtlerinnen und sucht nach Wegen, ihre Töchter in dieser Bewegung einzubinden. Es steht schnell fest, dass Ally, als die intelligentere und fleißigere der beiden Töchter als eine der ersten Frauen studieren und Ärztin werden soll.
Doch Ally ist zwar intelligent, doch vor allem auch unsicher und leicht in Panik zu versetzen. Ihr Vater und sein kreatives Umfeld geben ihr immer nur kurze Verschnaufpausen im ständigen Kampf um die Anerkennung und ganz besonders der Liebe ihrer Mutter.
Sarah Moss erschafft mit Ally eine Figur des sehr frühen Feminismus und der Anfänge der Frauenbewegung. Tatsächlich gab es in den späten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts die ersten Frauen mit Medizinabschluss. Doch den Weg, den diese Frauen bestreiten mussten, ihre Motivationen, ihre Ängste und Probleme sind sicherlich ein eher unbehandeltes Thema der Literatur.
Elegant und mit viel Präzision beschreibt die Autorin den Weg von Ally und den anderen Figuren des Buches, ohne dabei eine zu vernachlässigen. Jede Person wird in ihrer Komplexität und inneren Antrieben beschrieben. Das ist zuweilen etwas anstrengend, weil es viel Raum einnimmt, doch zugleich wirkt es stimmig und plausibel. Ohne diese intensive Innensicht der Figuren, würde man sich manchmal sehr an ihrem extremen Verhalten stören. Doch so wirkt es nahezu tragisch, wie die Mutter oder auch Ally in ihren eigenen Verhaltensmustern gefangen sind.
Jedem Kapitel ist eine Bildbeschreibung wie in einem Museumskatalog vorangestellt. Bilder von der jungen Braut Morberlys, dann der Kinder, schließlich der jungen Frauen, die aus ihnen geworden sind. Besonders in den Anfangskapiteln spielen diese Bilder und ihre Entstehungsgeschichte eine wichtige Rolle. Doch mit zunehmenden Alter Allys, die sich erst in der zweiten Hälfte zur Protagonistin entwickelt, rücken die Bilder in den Hintergrund.
Schon ziemlich lange schiebe ich diese Rezension jetzt vor mir her. Es liegt sicherlich nicht daran, dass ich dafür keine Zeit hatte. Es liegt auch nicht daran, dass dieses Buch schlecht gewesen wäre.
Ich bin mir tatsächlich auch nach fast zwei Monaten nach der Lektüre noch nicht ganz sicher, wie ich es bewerten soll.
[SarahMoss_Licht_ist_Cover_Mare] Sicherlich ist es ein unheimlich gutes Buch, die Idee mit den Bildern am Anfang der Kapitel hat mir ausgesprochen gut gefallen und die Gesichte von anderen historischen Romanen deutlich abgegrenzt. Doch leider ist die Autorin nicht konsequent mit ihrer Idee. Ab der Hälfte etwa steht die junge Tochter des Malers und ihr emanzipatorischer Lebensweg im Fokus, dass man fast die kreative Atmosphäre der ersten Kapitel vergisst. Es scheint fast wie zwei Romanentwürfe, die hier miteinander verbunden worden. Dieser Gedanke kam mir irgendwann beim Lesen und hat mich nicht mehr losgelassen.
Und das ist schade, denn die Geschichte ist toll, das Setting gut gewählt, die Figuren facettenreich und authentisch gezeichnet und die Sprache ist kraftvoll, elegant und fesselnd. Eigentlich ein richtig tolles Buch. Eigentlich. Es bleibt ein „ja, aber“ zurück und das ärgert mich. Denn es wirkt wie verschenktes Potenzial. Ich habe zwar bisher noch nichts von der Autorin gelesen, doch überzeugt sie mich sprachlich mit „Wo Licht ist“ absolut. Aktuell schreibt sie wohl an einer Fortsetzung, wieder mit dem Fokus auf der medizinischen Karriere von Ally. Ein tolles, noch kaum beleuchtetes Thema, auf das ich mich definitiv freue. Doch hoffe ich sehr, dass dieses Mal ein Lektor oder die Autorin selbst für eine klarere Struktur und Einheitlichkeit sorgt. Dann bin ich restlos selig.

Fazit:

Ein starker und thematisch frischer Roman über die ersten Emanzipationsversuche der Frauen in Großbritannien. Sprachlich zuweilen etwas langatmig, jedoch von starker Ausdruckskraft. Leider wurde die wunderschöne Idee mit den Bildbeschreibungen pro Kapitel nicht konsequent genug beibehalten.