Rezension

Ein Leben, drei Familien

Jaffa Road -

Jaffa Road
von Daniel Speck

Bewertet mit 5 Sternen

Jaffa Road

Ein Anruf erschüttert Ninas Leben: Ihr verschollener Großvater Moritz ist tot – und hinterlässt ihr und ihrer Tante Joelle ein Erbe. Beide Frauen reisen kurzerhand nach Palermo und finden dort nicht nur eine hübsche Villa, sondern auch jede Menge Fragen. Ist der gutaussehende Dottore, der sich über das Geschehene in Schweigen hüllt, tatsächlich Moritz Sohn? Kann es sein, dass Moritz nicht nur zwei, sondern gleich drei Leben und Identitäten hatte?

1948: Während die kleine Joelle mit ihren Eltern in Haifa ankommt und in der Jaffa Road das lang ersehnte Zuhause findet, muss das junge, palästinensische Mädchen Amal mit ihrer Familie aus ihrem Haus in Jaffa fliehen und alles zurücklassen. Für beide Mädchen beginnt ein Leben auf unterschiedlichen Seiten der Geschichte – nichtsahnend, wer sie einst verbinden wird.

 

Meine Meinung

Alles, was Daniel Speck aufs Papier bringt, ist in meinem Regal ein Muss. Also großer Fan von Bella Germania und Piccola Sicilia habe ich mir dabei nicht einmal den Klappentext durchlesen müssen – und so habe ich auch erst auf den ersten Seiten gemerkt, dass mir die Protagonisten bereits vertraut sind. Jaffa Road dreht sich (wie sein Vorgänger Piccola Sicilia) um die Geschichte von Moritz Reincke alias Maurice Sarfati – Vater, Großvater und seit langem verschollen. Aber keine Angst: Auch wer Piccola Sicila nicht kennt, wird eine außergewöhnliche Geschichte in diesem Roman finden. Auch wenn mehr Hintergrundwissen selbstverständlich nie schaden kann – und mit einem Buch von Daniel Speck macht man sowieso nie etwas falsch.

Nina und Joelle reisen erneut nach Sizilien, wo, wie sie endlich erfahren haben, ihr Vater und Großvater Moritz gelebt haben und gestorben sein soll. Dort treffen sie auf ein Haus voller Erinnerungen und einen Mann, der diese am liebsten loswerden möchte. Der gutaussehende Elias stellt sich allerdings auch als Sohn von Moritz heraus – eine Chance für Nina, die letzten fehlenden Puzzleteile von Moritz Leben zusammenzufügen.

Wie sein Vorgänger erzählt auch Jaffa Road von zwei verschiedenen Seiten und Zeiten. Auf der einen haben wir die Zurückgelassenen, die mit Mühe versuchen, das Leben ihres Vaters bzw. Großvaters zu rekonstruieren. Auf der anderen Seite verfolgen wir im Jahre 1948 das Leben zweier Menschen: Moritz, der mit Yasmina und Joelle in Haifa, Israel ankommt und das von Elias Mutter Amal, die nur wenige Kilometer entfernt ihre Heimatstadt Jaffa, Palästina verlassen und vor den vorrückenden Kriegen fliehen muss.

Mit einem eindrucksvollen Schreibstil, der melancholisch und hoffnungsvoll zugleich ist, erzählt Daniel Speck die Geschichte eines Konflikts, der hierzulande häufig vergessen wird: Es ist die Geschichte von Israel und Palästina, von den noch vor wenigen Jahren verfolgten Juden und den aus ihrer Heimat vertriebenen Palästinensern. Ein Konflikt, von dem ich – so viel muss ich ehrlich zugeben – bisher nur wenig Ahnung hatte. Speck hat sich allerdings die Zeit genommen, in die Region zu reisen, sich mit einem offenen Ohr die Geschichten der Menschen anzuhören und sie mit viel Einfühlungsvermögen in seiner Geschichte zu verarbeiten. Seine Charaktere sind bunt wie das Leben und wurden durch seinen bildlichen Schreibstil vor meinen Augen zum Leben erweckt. Ich habe einen tiefen Einblick in diese Figuren erhalten, die zwar so nie gelebt haben, aber gut existiert haben könnten. Ihre Geschichte hat mich bis zum heutigen Tag nicht mehr losgelassen – alleine das ist für mich ein Grund, das Buch zu meinen Lieblingen zu zählen.

Die Geschichte von Nina, Elias und Joelle bliebt zwar zeitweise etwas blass für mich, weil der Fokus auf der von Moritz lag, aber zusammen ergaben die Erzählungen ein Bild eines Lebens mit mehreren Identitäten. Schade war, dass Moritz beinahe nie selbst zum Erzähler wurde – so konnte ich einige seiner Handlungen, die die anderen Figuren nur aus zweiter Hand erfahren hatten, nicht immer zu 100% nachvollziehen. Aber so bleibt manches zumindest meiner Fantasie überlassen.

Insofern hat Jaffa Road meiner Meinung nach seinen Vorgänger sogar noch übertroffen. Wo Piccola Sicilia noch Schwierigkeiten mit der Dramatik und der Zusammenführung beider Zeiten hatte, hat Jaffa Road einen stimmigen Bogen durch Moritz Leben geschlagen. Für einen Roman mit beinahe 700 Seiten bin ich praktisch durch das Buch geflogen. Es wird mich mit Sicherheit noch eine ganze Weile begleiten.

 

Fazit

Jaffa Road ist für mich bisher das beste Buch aus der Feder von Daniel Speck. Mit bunten, vielschichtigen Charakteren, einem gut durchdachten Spannungsbogen und wichtigen, einfühlsamen Erzählungen, konnte Speck mich 700 Seiten durchgehend packen. Wenn ich könnte, würde ich dem Buch 6 von 5 Sternen geben!