Rezension

Ein Leben zwischen Liebe und Rache

Ein Diktator zum Dessert - Franz-Olivier Giesbert

Ein Diktator zum Dessert
von Franz-Olivier Giesbert

Bis zu meinem letzten Atemzug und sogar darüber hinaus werde ich nur an die Macht der Liebe, des Lachens und der Rache glauben (Seite 7)

Inhalt
Rose ist 105 Jahre alt, Besitzerin eines kleinen Restaurants in Marseille und hat ihre ganz besondere Art mit Menschen umzugehen, die ihr in die Quere kommen. Sie hat den Genozid in Armenien überlebt, die Nazizeit und auch den Maoismus. Einer der Gründe dafür ist der starke Wunsch nach Vergeltung. Als sie die Todesanzeige von einer gewissen Renate Fröll erhält, veranlasst diese sie nicht nur Recherchen zu ihr bei dem Nachbarsjungen "Samir die Maus" in Auftrag zu geben, sondern auch ihre Memoiren zu schreiben.

Meine Meinung
Vor genau hundert Jahren begingen die Osmanen im Jahr 1915 den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Staates lehnt die Vorwürfe ab, aber die Stimmen der meisten Historiker bestätigen den Völkermord. Rose wächst zu der Zeit auf und muss mit ansehen, wie ihre komplette Familie ermordet wird und sie als einzige zurück bleibt. Schon als kleines Kind muss sie sich alleine durchschlagen und erlebt Dinge, die kein Kind erleben sollte. Auch im Verlauf ihrer 105 Jahre, wird sie immer wieder mit Situationen konfrontiert, die nach Vergeltung rufen und so ist es nicht verwunderlich, dass sie sich irgendwann daran macht ihre Hassliste "abzuarbeiten".

Es gibt ja Menschen, die behaupten, Vergebung sei die schönste Rache, aber diese Überzeugung entspringt vor allem dem Bereich der Moral und der Philosophie. Es kann sich also nur um abstrakte Rache handeln und hilft überhaupt nicht. Damit Rache Heilung bringt, muss sie körperlich und konkret sein. Nur wenn sie grausam ist, schließt sie unsere Wunden und verschafft uns lang anhaltende Linderung (Seite 256)

Rose lebt in einem Jahrhundert, welches ereignisreich ist und sie teilweise mit Personen zusammenführt, die man gar nicht kennenlernen möchte. Sehr passende Worte finden sich dafür auf Seite 21

Am Tag meiner Geburt waren die drei Personen, die die Menschheit heimsuchen sollten, bereits auf dieser Welt: Hitler war achtzehn Jahre alt, Stalin achtundzwanzig und Mao dreizehn. Mein Geburtstag fiel in das falsche Jahrhundert: ihrs

Der Autor skizziert mit Rose eine alte Dame, die alles andere als eine rüstige Rentnerin ist. Sie ist eigensinnig, stark und nicht abgeneigt ihren Colt einzusetzen, wenn es nicht anders geht. Konstanten in den 105 Jahren sind die Liebe, gutes Essen, der unbändige Wille zu Leben und Rache. Geschickt setzt sie ihre Rachepläne ein und geizt auch nicht ihre weiblichen Reize einzusetzen, um ihren Widersacher um die Ecke zu bringen. Rose ist kein Charakter, den man durchgängig sympathisch findet und ja sie tut Dinge, die man kaum gut heißen kann oder die den Leser verstören. Sie ist nicht angepasst und lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Aber sie tut vieles aus Liebe oder dem Versuch für sich so etwas wie Erlösung zu finden. Dass sie in 105 Jahren so einiges erleben durfte und nicht nur schönes dabei war, hat Franz-Olivier Giesbert auf Seite 268 wunderbar in Worte gefasst

Die Welt ist nicht gut durchdacht: die Sonne geht immer dann unter, wenn man sie am dringendsten braucht

Rose führt uns auf ihre ganze eigene Art durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Sie lässt uns an Stationen ihres Lebens teilhaben, welches ungewöhnlich, teilweise schrecklich, aber nie langweilig war.

Fazit
"Ein Diktator zum Dessert" ist ein Rückblick auf das 20. Jahrhundert, welches uns durch Rose näher gebracht wird, die auf ihre ganz besondere Art besticht. 105 Jahre alt, eigensinnig, mit spitzer Zunge und einem gut geladenen Colt, der – wenn nötig – zum Einsatz kommt. Lese-Empfehlung!