Rezension

Ein Thriller, bei dem man glaubt, selbst Mordopfer zu sein

Targa - Der Moment, bevor du stirbst - B. C. Schiller

Targa - Der Moment, bevor du stirbst
von B. C. Schiller

Bewertet mit 4 Sternen

Serienmörder faszinieren, nicht umsonst gibt es so viele Bücher über sie und nicht umsonst verkaufen sich diese wie warme Semmeln und geschnitten Brot. Im wahren Leben gibt es weit weniger Serienmörder als uns die Bücher glauben machen wollen. In Österreich gab es zum Beispiel Jack Unterweger,.er ermordete zunächst eine Frau, saß im Gefängnis, kam frei und mordete angeblich weiter; da er sich vor der Urteilsverkündung umbrachte, darf er aber lediglich als „mutmaßlicher Serienmörder“ bezeichnet werden – die Indizien waren damals allerdings erdrückend. Das C von B.C. Schiller durfte sich damals mit ihm im Gefängnis unterhalten und nahm die Erfahrung daraus als Inspiration für den ersten Teil der Targa-Reihe, den er gemeinsam mit seiner Frau, dem B von B.C. Schiller, geschrieben hat.

Targa Hendricks ist Undercover-Agentin im Sonderdezernat K2 in Berlin. Der Name K2 leitet sich vom gleichnamigen Berg ab, dessen Besteigung ebenso hart ist wie der Job im Sonderdezernat. Targa wurde einst mit ihrer Zwillingsschwester in einer kalten Winternacht kurz nach ihrer Geburt ausgesetzt. Heute, 30 Jahre später, lebt sie gemeinsam mit ihrem Hund, der ebenso heißt, nämlich Hund, auf einem Campingplatz in einem alten VW Bus. Das wirkt Hippie-mäßig, ist aber einfach nur pragmatisch, genau wie Targa selbst, die keine langen Reden hält – generell nur das nötigste redet –, sondern ihren Job erledigen will. Diesmal soll sie „hautnah“ ermitteln, wie es ihr Kollege Volker Lundt bezeichnet – doch das versteht Targa anfangs nicht, was uns zu ihren Charakterzügen bringt. Wie oben geschrieben ist Targa sehr pragmatisch, aber auch sehr gefühlskalt, sie kennt keine Liebe, keine Freude, was sie zeitweise auch ziemlich naiv erscheinen lässt, weil sie manche Dinge nicht nachvollziehen kann; insgesamt ist mir Targa aber sehr sympathisch. In ihrer Freizeit trägt sie zum Beispiel gerne Kröten von einer Straßenseite auf die andere oder spricht mit ihrer toten Zwillingsschwester Yella.

Auf der anderen Seite ist Falk Sandman, bei dem ich anfangs nicht wusste, ob man ihn aufgrund der Schreibweise seines Nachnamens deutsch oder englisch ausspricht – ich hab mich irgendwann für Letzteres entschieden. Er ist Psychologie-Professor auf einer Privatuni in Berlin und der Antagonist von Targa; er ist überdies gutaussehend, charismatisch und manipulativ. In seiner Freizeit ist er Apnoetaucher, er taucht also ohne Sauerstoff ziemlich tief. In seiner Villa hat er eine Dekompressionskammer, in der er seine Opfer – vornehmlich Frauen – tötet; ihre letzten Worte nimmt er auf und stellt sie auf seinen Blog „Famous Last Words“.

In einem dritten Strang lernen wir Eric Holm kennen, der sich für ein Jahr verpflichtet hat, auf einer Gefängnisinsel nahe Norwegens als Gefängniswärter zu arbeiten. Von Anfang an kam mir dieses Setting bekannt vor, bis mir einfiel, dass es dieses schon in Andreas Grubers „Todesmärchen“ gab. Holm ist von seinen Charakterzügen ein ziemlich schwacher Mensch, fehleranfällig und dadurch leicht erpressbar; das nützt der vermeintlich gefährlichste Häftling auf der Insel, Carlos Schmid, eiskalt aus.

Der erste Teil der „Targa“-Serie beginnt ziemlich rasant, wird dann vom Erzählstil langsamer, um dann wieder rasant zu werden. Die Schillers spielen bei der Thematik mit einer menschlichen Urangst, dem Erstickungstod; dabei sind die Schilderungen rund um Sandman wenn er tötet so plastisch erzählt, dass man beim Lesen selbst glaubt, zu wenig Luft zu bekommen. Die Charaktere sind alle sehr klar und prägnant, vor allem Targa, bei der man von Anfang an nachvollziehen kann, warum sie so ist wie sie ist – wenn ich als Baby in einer Winternacht ausgesetzt worden wäre und nur knapp überlebt hätte, hätte ich wohl auch berechtigte Zweifel an der Menschheit.

Mit der Protagonistin sprechen die Schillers auch ein politisches Thema an, das uns tagtäglich direkt oder indirekt begegnet, nämlich dem Feminismus, und mit ihm die Message, dass das „schwache Geschlecht“ auch verdammt stark und tough sein kann – mehr als die meisten Männer. Da eine Mehrzahl der Leser von Kriminalliteratur Frauen sind, appellieren sie an diese und sagen ihnen zwischen den Zeilen „Lass dich nicht unterkriegen in dieser männerdominierten Welt, du bist mindestens genau so stark!“. In Zeiten, in denen Parteien an die Macht oder in Parlamente drängen, die eine rückwärtsgewandte Meinung über Frauen haben und „Frauen zurück an den Herd!“ schreien, ist es umso wichtiger, sich die feministische Agenda auf die Fahnen zu heften – ein Roman, auch wenn er primär unterhalten soll, ist dafür geradezu prädestiniert.

Auch gut gezeichnet ist Falk Sandman, wenngleich er in der Szene, in der er Targa zum ersten Mal begegnet, etwas Skepsis vermissen lässt – vor allem, wenn man sie der Szene direkt davor gegenüberstellt, als er ein Hörgerät einer Nebenfigur für einen Peilsender hält. Generell weist die Geschichte ein paar Defizite beim Storytelling auf, einzelne Szenen leben nur von dem Spannungselement, haben mit der Geschichte selbst aber nur wenig zu tun. Auch wie man erfährt, dass Targa kein Handy hat, hätten die Autoren besser lösen können, denn ich bezweifle, dass Targas Kollegin, die sie anscheinend schon länger kennt, das nicht weiß – in einer Szene mit Sandman hätte man es besser und überzeugender einbauen können.

Nach dem Ende habe ich mich gefragt „Wieso sollte ich jetzt heiß auf den zweiten Teil sein“? Die Geschichte selber hat mir zwar gut bis sehr gut gefallen und ich war ziemlich schnell durch, aber die Erzählstränge wurden alle abgeschlossen und mir fehlt irgendwo der Anreiz, dem zweiten Teil entgegenzufiebern. Andersrum haben es Hjorth und Rosenfeldt beim ersten Teil ihrer Sebastian-Bergman-Reihe gemacht – da fand ich die Geschichte eher mau, aber durch den Cliffhanger am Ende bin ich zum Fan der Reihe geworden.

Fazit: „TARGA – Der Moment, bevor du stirbst“ ist ein verdammt guter Thriller, mit einer starken Protagonistin, einem nicht minder starken Antagonisten, einem top Thema und der Aufbringung eines politischen Themas, das uns letztendlich alle betrifft; aber mit leichten Schwächen im Storytelling. Mehr Rezensionen gibt es auf Krimisofa.com!