Rezension

Eine Dickens-Adaption

Demon Copperhead -

Demon Copperhead
von Barbara Kingsolver

Bewertet mit 3 Sternen

Zu lang und zu old fashioned

Ich wollte, ich könnte sagen, der Roman „Demon Copperhead“ hat die Opioid-Krise in den Staaten im Visier und die Kritik an der gewissenlosen Pharmaindustrie wäre ihr Fokus, aber so ist es nicht, obwohl die herrschenden Zustände unter den sozial Unterprivilegierten messerscharf dargestellt werden. So ist es jedenfalls nicht auf den ersten 500 Seiten. Später ändert sich das, aber da hat man schon 500 bis 600 Seiten Kindheitsgeschichte in allen dreckigen Details hinter sich. Freilich mit unversehrtem Helden. Man fühlt sich irgendwie an Huckleberry Finn erinnert.
Der Roman erzählt einerseits die Geschichte eines vaterlosen Kindes im Lee County. Von einer Junkiemom unter widrigen Umständen ins Leben gebracht, muss Held Damon schon früh lernen, was Einsamkeit, Vernachlässigung und Kinderarbeit heißt. Man folgt ihm als Leser von einer schlimmen Lage in eine noch schlimmere. Das ist schwer zu ertragen, aber durch die Schnoddrigkeit des Icherzählers Damon wird es ertragbar. Der Stil zwischen Zynismus und Humor. Schließlich, nach unendlichen Qualen hat der Held Glück, er findet seine Großmutter und wird danach im Hause des Coaches Winfield eine Footballgröße. Bis es dann in den Drogensumpf geht, aber der Held, wir wissen es bereits, wird zwar angekratzt, bleibt aber in seinem Inneren unversehrt, ein Diamond eben, wie es einmal jemand im Roman zu ihm sagt. Unverwüstlich. Ein Märchen.

Der Kommentar und das Leseerlebnis:
Barbara Kingsover schreibt ein modernes Remake von David Copperfield, eine sogenannte Adaption. Dieses Remake ist gleichzeitig das große Plus und das große Manko dieses Romans. Denn diese Adaption ist wirklich gut gelungen, sowohl was den Stil, wie die Ideen und die Art angeht, wie Barbara Kingsover die Namen der Personen aus der Vorlage von Dickens „David Copperfield“ verwendet; das ist erheiternd und listig. Doch diese Adaption ist auch das Manko des Romans. Denn wie alle anderen Kinderhelden, auch die von Erich Kästner und die von Mark Twain zum Beispiel, watet Demon zwar durch Entbehrung, Erniedrigung, Hunger und Not, doch auch wenn sich diese Kinderhelden durch den Schlamm der Menschheit arbeiten und sich dabei die Schuhe schmutzig machen, bewahren sie sich immer und ewig ein goldenes Herz, wenn nicht gar ein unschuldiges. Diese Tatsache konstatiert die herangewachsene Emmy, eine Art Cousine von Damon: „… ich konnte nicht mit Hammer Kelly zusammensein, er ist auf dieselbe Art gut wie du, als hättet ihr ein Metall in euch oder so, das nicht schmilzt ganz gleich, was passiert.“
Sag ich doch, ein Held mit einem Herzen aus Gold. Das ist nett und liest sich wie ein Jugendbuch, aber authentisch ist es nicht.
Als sich die Drogengeschichten endlich zuspitzen und die Junkiebraut Dori stirbt, wache ich auf. Jetzt wird’s richtig interessant, aber es ist zu spät, ich habe schon 650 Seiten und mehr goldenes Herz intus und bin müdegelesen.

Fazit: Eigentlich eine gelungene Dickens-Adaption, der Ton genau getroffen und in die Neuzeit übersetzt, aber unversehrbare Helden mit goldenen Herzen sind einfach nicht mehr mein Ding. Und als es endlich interessant wird, nach 650 bis 700 Seiten hat mich der ewiglange Vorspann ausgelaugt. 300 Seiten weniger und früher zum Punkt gekommen, dann wärs ganz mein Buch gewesen. Freilich, die Dickensadaption wäre dabei auf der Strecke geblieben.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Pulitzer Preis 2023
Women’s Prize for Fiction, 2023
Dtv 2024
 

Kommentare

Emswashed kommentierte am 17. Februar 2024 um 07:16

Oh je, Langeweile auf 700 Seiten geht gar nicht! Dickens ist aber auch nicht unbedingt mein Fall.