Rezension

Entsprach nicht ganz meinen Erwartungen

Die Liebe in diesen Zeiten - Chris Cleave

Die Liebe in diesen Zeiten
von Chris Cleave

Bewertet mit 3.5 Sternen

Zwischen Trümmern, Trauer und Träumen

„Zehntausende waren gestorben, und wer übrigblieb, war krank vor Elend. Dies war eine Eigenschaft des Krieges, vor der einen niemand warnte: dass der Tod die Krankheit der Lebenden war, ein Gift, das sich im Körper sammelte.“

Inhalt

Kurz nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges befindet sich London in euphorischer Stimmung, die Freiwilligen melden sich zum Kriegsdienst, alles befindet sich in Aufbruchstimmung und die Zukunft erscheint machbar, wenn der Krieg erst gewonnen ist. Für Mary North, ein Mädchen aus gutem Hause scheint eine Stelle als Lehrerin genau die richtige Chance zu sein, ihr Leben selbstbewusst in Angriff zu nehmen. Dort lernt sie nicht nur ihren neuen Freund Tom kennen, sondern engagiert sich mit Herzblut für ihre Zöglinge. Doch schon bald ziehen dunkle Wolken auf und als die ersten Bomben fallen, verlagert sich das Herz der Stadt unter die Erde in die Bunker ohne Licht. Mary muss erkennen, dass nun ganz andere Prioritäten gesetzt werden und das ein Menschenleben in Sekundenbruchteilen beendet werden kann. Zwischen den feindlichen Geschützen verliert sich nicht nur Tom, sondern auch ihre Zuversicht auf eine hoffnungsfrohe Zukunft. Einzig ihre Schwärmerei für Toms besten Freund Alistair hält sie über Wasser, doch der befindet sich direkt an der Front auf der Insel Malta, die unter Dauerfeuer liegt und schon bald dem Erdboden gleich gemacht werden soll …

Meinung

In diesem intensiven Roman über das zivile Leben in Kriegszeiten, legt der Autor Chris Cleave das Augenmerk auf die Veränderungen, die ständige Alarmbereitschaft, Bomben und Fliegergedröhn auf die menschliche Psyche haben. Er zeigt eindrucksvoll und perspektivenreich, wie einst zuversichtliche junge Menschen mehr und mehr den Halt verlieren und voller Schrecken und Unverständnis den Machenschaften der Kriegsmaschinerie gegenüberstehen. Schon bald stehen nicht nur die Protagonisten, sondern auch der Leser vor der Frage: „Wozu soll all das Leid überhaupt gut sein?“ Gleich gefolgt von der bitteren Einsicht, dass ein Leben in Kriegszeiten nicht viel mehr als ein Überleben darstellt.

Beim Lesen des Buches war ich etwas in der Zwickmühle, weil mir einerseits die historisch inspirierte Handlung über das tatsächliche Kriegsgeschehen zu Beginn der 40er-Jahre sehr gut gefallen hat, mir aber die laut Klappentext angekündigte Dreiecksbeziehung zwischen einer jungen Frau und zwei besten Freunden definitiv zu kurz kam. Die Kombination zwischen den Themen Liebe und Krieg konnte mich hier nicht befriedigen, schon allein weil ich bereits zahlreiche Bücher mit dieser Thematik konsumiert habe und alle sehr emotional, sehr fesselnd und ergreifend waren. Während mir dieses Buch eher an der Oberfläche blieb, die stellenweise durch eine sehr humoristische, für mich unpassende Schreibweise unglücklich ergänzt wurde. Sowohl der Anspruch als auch der Tiefgang der Emotionen haben mir gefehlt. Obwohl es sich um einen gut lesbaren, abwechslungsreichen Unterhaltungsroman handelt, hätte mir eine andere Blickrichtung gleich zu Beginn des Buches deutlich besser gefallen.

Sehr positiv hingegen bewerte ich die direkte, teils schauerliche Auseinandersetzung des Autors mit den Kriegsereignissen, den Fliegerangriffen, den Verstümmelungen und Spätschäden, die auch zeigen, wie schwer es war als normaler Zivilist, die Welt um sich herum überhaupt noch anzunehmen, ohne an ihr zu zerbrechen. Cleave setzt sich umfassend mit der Problematik des Drogenmissbrauchs auseinander, er erörtert konsequent die Frage von Rassenunterschieden und die Folgen derer für alle Beteiligten. Er entwirft Figuren, die sowohl miteinander als auch allein schlüssig agieren und deren Handlungen man nachvollziehen kann. Ans Herz gewachsen ist mir dennoch keine von Ihnen, weil die Betonung weniger auf ihren Individuen beruht, als vielmehr auf ihren Entscheidungen im Alltag. Dort wiederum greift der Autor viele wichtige, elementare Werte auf, die wohl gerade im Krieg an immenser Bedeutung gewinnen: er zeigt wahre Freundschaft, unbeirrbare Loyalität, mutigen Einsatz und echte Kameradschaft. Er zeigt, wie Menschen sein können, wenn sie nicht so sein dürfen, wie sie sind, weil ihnen die historische Entwicklung die Luft zum Atmen raubt.

Fazit

Ich vergebe 3,5 Lesesterne (aufgerundet 4) für diesen historisch ambitionierten Roman, der viele spannende Lesestunden verspricht und das Kriegsgeschehen gekonnt einfängt. Wer jedoch einen  ergreifenden, dramatischen, vielleicht auch erschütternden Roman und eine traurig/schöne Liebesgeschichte erwartet, der wird hier etwas enttäuscht zurückbleiben, denn das kann er leider nicht bieten. An dieser Stelle sei gesagt, dass sowohl der Titel des Buches als auch der abgedruckte Klappentext etwas Anderes suggerieren als dann tatsächlich geboten wird.