Rezension

Erhellende Einblicke

Nur wenn du allein kommst - Souad Mekhennet

Nur wenn du allein kommst
von Souad Mekhennet

Bewertet mit 5 Sternen

„Nur wenn du allein kommst“, diese Forderung hört die Journalistin Souad Mekhennet regelmäßig, bevor sie sich mit ihren Interviewpartnern treffen kennen. Diese sind häufig Islamisten und sie vertrauen ihr aufgrund ihrer Abstammung: Sie wurde geboren in Frankfurt am Main, als Tochter einer schiitischen Mutter mit syrischer Abstammung, aber aus der Türkei, und eines sunnitischen Vaters aus Marokko. Die kleine Souad wuchs als Muslima auf in einer toleranten Familie, bei der sich die Eltern abarbeiteten, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. „Die Einwanderer ihrer Generation, die Putzfrauen und Köche, muckten nicht auf, wären nie auf die Idee gekommen, die Autorität der 'richtigen Deutschen‘ infrage zu stellen.“ S. 53 Einige frühe Kindheitsjahre bei der Großmutter in Marokko, dann das weitere Aufwachsen in Deutschland, Jugoslawienkrieg und Hoyerswerda, fremdenfeindliche Angriffe prägen die Heranwachsende, die sich entschließt, nach dem Vorbild aus dem Film „Die Unbestechlichen“ zum Watergate-Skandal selbst Reporterin zu werden. „Statt meine Ängste die Oberhand gewinnen zu lassen, begann ich sie als Herausforderung zu begreifen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.“ S. 44 Durch einen immer weiteren Ausbau ihrer Kontakte und dadurch, dass sie stets bemüht ist, jede Seite zu Wort kommen zu lassen, dabei aber in alle Richtungen kritisch bleibt, schafft sie sich bald ein Renommee.

Das Sachbuch ist spannend geschrieben, ich hatte schon langweiligere Krimis und sprachlich schwieriger zugängliche „Unterhaltungsliteratur“, ich bin von dem Schreibstil sehr positiv überrascht. Acht Jahre älter als die Autorin, konnte ich mich an den genannten politischen Ereignissen sehr gut entlanghangeln – wer wenig Nachrichten liest oder sieht, wird vielleicht einiges nachschlagen müssen. Ich bin sehr beeindruckt über die Tiefe der Informationen zu den verschiedenen Ländern und Regionen, Irak, Libanon, Algerien,… - anhand derer sich das Buch in verschiedene Kapitel zu den jeweiligen Jahren gliedert. Ich gestehe eine gewisse Skepsis vor Aufnahme der Lektüre: Warum tut sich das jemand an, sich derart doch immer wieder in Gefahr zu begeben? Die Autorin macht ihre Motivation glaubwürdig, berichtet auch über Ängste und Nachteile ihres Lebens – nachvollziehbar, auch wenn sie und ich definitiv unterschiedliche Anteile des „Risiko-Gens“ mitbekommen haben.

Was ich befürchtet hatte: Unsachlichkeit, zu starke Vereinnahmung durch die diversen Islamisten. Was ich stattdessen erhielt: die auch für mich beschämende Erkenntnis, dass genau das die Vorbehalte waren, denen die Autorin sich ausgesetzt sah, von der Grundschule bis zum Einstieg in den Beruf, selbst später noch gegenüber diversen Diensten. Übrigens auch das häufig Ursache der Islamisierungen, die Ausgrenzung des Einwanderungslandes. Sie will verstehen, sucht die Diskussion. Stark, wie der kleine Sohn eines der Männer aus dem Gefolge ihres Interviewpartners stolz berichtet, wie er heute das Töten der Ungläubigen gespielt habe und sein Vater ihn zufrieden küsst – als sich die Journalistin später im Hotel daran erinnert, kommen ihr die Tränen. Ähnlich enden hier oft die Kapitel für mich mit einem Denkanstoß, ich mag nicht direkt weiterlesen. Wenn Kinder so aufwachsen, was kann aus ihnen nur werden? Und wie gehen wir selbst mit unseren Werten um, wenn man an den Fall el-Masri denkt, der wegen Terrorverdachts verschleppt und gefoltert wurde (von Mekhennet aufgedeckt)?

Erhellend eine Diskussion mit einem schiitischen Fahrer in Bahrein, dessen mehrheitlich schiitische Bevölkerung von der sunnitischen Herrscherfamilie regiert wird. Er bemängelt, dass man für bestimmte Arbeiten Ausländer ins Land hole, statt „Bahreinis first“ zu praktizieren, gibt aber auf Nachfrage zu, eine Putzfrau aus Bangladesh zu beschäftigen, da diese Arbeiten unter der Würde seiner Frau und Kinder seien. Als die Reporterin die Tätigkeiten von ihren Eltern und ihr selbst zur Finanzierung des Studiums beschreibt, obwohl beide Eltern ihre Abstammung zum Propheten zurückverfolgen können, kratzt das reichlich am Weltbild des Fahrers. Das Weltbild der islamischen Welt wird so in Streifzügen für die jeweilige Region nachvollziehbarer.

Über alle Kapitel hinweg ziehen sich Mekhennets Grundfragen nach dem „Warum“, warum kommt es zu dieser Radikalisierung. Aber auch der oft naive Umgang des Westens findet ausreichend Thematisierung. Ein starkes Buch und eine eindeutige Leseempfehlung!