Rezension

Hut ab vor dieser großartigen Frau!

Nur wenn du allein kommst - Souad Mekhennet

Nur wenn du allein kommst
von Souad Mekhennet

Bewertet mit 5 Sternen

»Ich sollte allein kommen. Ohne Ausweispapiere oder sonstige Dokumente; Handy, Aufnahmegerät, Uhr und Handtasche sollte ich in meinem Hotel in Antakya lassen. Erlaubt waren lediglich ein Notizbuch und ein Kugelschreiber.«

Sommer 2014. Die Journalistin Souad Mekhennet hat eine Verabredung zu einem Interview mit einem Kommandeur des IS. Mitten in der Nacht. Und allein.

 

Schon der Anfang des Buchs las sich wie ein Thriller. Die Gefahr, in die sich Souad Mekhennet begeben hat, wird niemand von der Hand weisen. Wie kommt eine Frau dazu, einen solchen Schritt zu wagen? Woher nimmt sie den Mut?

Ein autobiographischer Teil, der sich anschließt, hilft, die Autorin kennenzulernen. Schon früh musste sie lernen, gegen Widerstände zu kämpfen. Eben weil sie in Deutschland geboren und aufgewachsen war, es als ihre Heimat ansah und doch wegen ihrer Wurzeln diskriminiert wurde. Im September 2001 war sie eine junge Journalistin, zutiefst schockiert und von dem Wunsch getrieben zu verstehen, was da geschehen war…

»Was genau meint ihr mit Dschihad?«, fragte ich.
»Dass man ein Recht auf Selbstverteidigung hat«, erklärte mir einer der Studenten.
»Wovon redest du?«, fragte ich. »Wer hat euch denn persönlich angegriffen?«
»Die Amerikaner.«
»Ich wüsste nicht, dass die Amerikaner Marokko angegriffen haben.«
»Wir denken nicht als Marokkaner«, sagte er. »Wir denken als Muslime.«
Allmählich dämmerte es mir, dass ich eine Welt betrat, vor der mich meine Eltern immer gewarnt hatten. Als Journalistin war es mein Job, über das zu schreiben, was in den Köpfen dieser Männer vor sich ging, und es anderen zu erklären.

 

Souad Mekhennet begriff es als ihre Aufgabe, die Beweggründe zu erfahren und sie der Welt mitzuteilen. Weshalb radikalisieren sich junge Männer und Frauen? Wo kommt all der Hass her? So reist sie um die Welt, von einem Krisengebiet ins nächste. Ob im türkisch-syrischen Grenzgebiet, im Irak oder in Jordanien – immer wieder begibt sie sich in Lebensgefahr. In Ägypten wird sie verhaftet und lernt ein berüchtigtes Foltergefängnis von innen kennen. Zeitgleich wird sie aber auch von westlichen Regierungen argwöhnisch beobachtet und fragt sich manchmal, von welcher Seite ihr mehr Gefahr droht.

Unbeirrt bemüht sie sich um Gespräche mit Dschihadisten, interviewt Anführer von al-Qaida, radikalisierte Jugendliche und ihre Familien, Politiker und Imame. Wo nötig zieht sie zum Gespräch eine Abaya über Jeans und T-Shirt, verzichtet aber fast nie auf das Stellen unbequemer Fragen.

 

In ihren Reportagen bemüht sie sich um Objektivität. Dafür bringt sie die besten Voraussetzungen mit, denn von klein auf ist sie gewohnt, zwischen den Welten zu leben. Als Kind marokkanisch-türkischer Eltern wächst sie in Deutschland auf, wird sowohl eine gläubige Muslimin als auch eine selbstbewusste, moderne Frau. Und stellt als Tochter eines Sunniten und einer Schiitin schockiert fest, dass diese beiden Glaubensrichtungen sich in Teilen der Welt abgrundtief hassen und bekämpfen.

Ihre Sichtweise und die Art zu berichten hat mich wirklich beeindruckt. Offen legt sie ihre Meinung dar, verurteilt Gewalt und Hass, bemüht sich aber auch zu verstehen, wie beides entstehen kann. Und hofft darauf, dass ihre Erkenntnisse helfen können, noch mehr Hass und Morde zu verhindern.

 

Ich für mein Teil habe viel Interessantes erfahren und gelernt. Souad Mekhennet schildert die Hintergründe so mancher Konflikte, erläutert die Differenzen zwischen Sunniten und Schiiten, sie denkt über die wahre Natur des sogenannten Arabischen Frühlings nach und stellt Menschen vor, die an der Deradikalisierung junger Muslime arbeiten. Sie befasst sich mit Frauenrechten, spricht aber auch über Europäerinnen, die davon träumen, einen IS-Kämpfer zu heiraten. Sehr spannend fand ich auch die Enttarnung von „Jihadi John“ – meine Güte, die Autorin ist sowohl mutig, einfallsreich als auch intelligent!

 

Der Stil sagte mir ebenfalls sehr zu. Obwohl reichlich Fakten geschildert werden und mir manchmal aufgrund der vielen arabischen Namen der Kopf rauchte, ist die Schilderung sehr lebhaft und gut zu lesen. Immer wieder gibt Souad Mekhennet Einblicke in ihr Gefühlsleben, man spürt, dass sie durchaus Ängste hat – und zwar nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern auch um die Zukunft der westlichen und der arabischen Welt.

 

Fazit: Hut ab vor dieser großartigen Frau! Sehr lesenswerter Bericht, der informiert, nachdenklich macht und um gegenseitiges Verständnis wirbt.

 

»Nicht die Religion radikalisiert den Menschen; der Mensch radikalisiert die Religion.«