Rezension

Europareise auf Chinesisch

Neuschweinstein - Mit zwölf Chinesen durch Europa - Christoph Rehage

Neuschweinstein - Mit zwölf Chinesen durch Europa
von Christoph Rehage

Bewertet mit 4 Sternen

Christoph Rehage spricht fließend Mandarin und hat bereits einige Jahre in China gelebt, als er sich einer chinesischen Reisegruppe anschließt, um mit ihr gemeinsam auf eine vierzehntägige Busreise durch Deutschland, die Schweiz, Italien und Frankreich zu gehen. Dabei will er herausfinden, was die Chinesen wirklich über Europa und seine Bewohner denken.

Das eher schlicht gehaltene Buchcover wirkt durch seinen Buchtitel, der auch gleich vermuten lässt, dass es in dieser Reisegruppe auch etwas zum Lachen geben wird. Beim Aufklappen sind am Anfang und am Ende des Buches insgesamt 16 Reise-Schnappschüsse zu entdecken, die vom Autor während der Tour gemacht wurden. Leider vermisse ich die Bilder der in der Schweiz auf dem Berg springenden Reisegruppe, aber das wird ja immerhin in schwarz-weiß auf dem Buchcover angedeutet und lässt mich im nachhinein noch schmunzeln.

Wie leicht es sich doch als Europäer reist, wurde mir erst beim Lesen dieses Buches wieder einmal bewusst. Chinesische Reisewillige müssen kurios wirkende Klauseln in ihren Vertragsunterlagen unterschreiben und Kautionen zahlen oder Bürgschaften vor Reiseantritt hinterlegen, wenn sie denn überhaupt ausreisen dürfen. Auch erfährt man manches über die chinesische Mentalität und natürlich wird auch das ein oder andere Klischee bedient. Hingegen kommen aus chinesischer Sicht einige europäische Verhaltensweisen eigenartig daher. Der Schreibstil des Autors ist flüssig und angenehm zu lesen. Vergleiche oder Kritik an den unterschiedlichen Systemen oder der Lebensart erfolgen mit angenehmem Humor. Es wird lediglich die Andersartigkeit herausgestellt und nicht beurteilt, was nun besser oder schlechter ist.

„Aber wer einmal das verzerrte Gesicht eines Chinesen beim Verkosten von Lakritze gesehen hatte, der durfte sich wirklich gerächt fühlen. Gerächt für jeden Hühnerfuß, für jedes Entengedärm und für jedes Fischauge, mit dem er in China gequält worden war.“ (S. 84)

Man erlebt, wie Christoph Rehage in die Gruppe hineinwächst und insgeheim seinen Mitreisenden bezeichnende Spitznamen gibt. Das erleichtert das Lesen, da man nicht mit übermäßig vielen chinesischen Namen und Bezeichnungen konfrontiert wird. Teilweise verschmilzt der Autor mit der Gruppe und schildert die Geschehnisse in der Wir-Perspektive. Dadurch wird die chinesische Sichtweise und das Miterleben der Reise noch verstärkt. Ebenso wie Rehage, wachsen einem die Reisegäste nach und nach ans Herz und man ist fast ein wenig traurig, als schließlich der Rückflug nach Beijing ansteht.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass das Buch mit der Reise endet, aber Christoph Rehage hat sein beim Abschied gegebenes Versprechen wahr gemacht, und einige ehemalige Mitreisende drei Monate später in ihrem Heimatort besucht. Das war überraschend und besonders. Losgelöst von der Gruppe gab es dabei einiges Wissenswertes über die Personen und ihre persönlichen Reisehighlights zu erfahren. Das ließ die Reise in noch einem anderen Licht erscheinen.

Christoph Rehage ist mit „Neuschweinstein“ ein amüsanter Reisebericht gelungen, den ich gerne gelesen habe und jedem empfehlen kann, der gerne mal hinter die Kulissen der im Dauer-Selfie-Modus befindlichen chinesischen Reisegruppen schauen möchte.