Rezension

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Familiäre Spurensuche von der DDR bis heute

Familie der geflügelten Tiger - Paula Fürstenberg

Familie der geflügelten Tiger
von Paula Fürstenberg

„In einer Familie gibt es keine Wahrheit, es gibt nur Geschichten, sagte er. (S. 143)

Johanna ist aus ihrem kleinen Ort in der Uckermark fortgegangen, um Straßenbahnfahrerin in Berlin zu werden. Sie war erst zwei Jahre alt, als die Mauer fiel, so dass sie keine direkten Erinnerungen an die DDR hat. Auch nicht an ihren Vater, der die Familie damals verlassen hat. Nun meldet er sich bei ihr, und löst damit ein Chaos an Gefühlen bei Johanna aus. Was ist wirklich passiert? Wurde ihr Vater von der Stasi verhaftet oder ist er nach Westberlin geflohen? Vor Johanna liegt eine Odyssee, die sie in ihre eigene Kindheit zurückführt, in ein Land, das es nicht mehr gibt und zu Menschen, die zwar Geschichten erzählen, aber auch die Wahrheit?

Johanna erzählt uns ihre Geschichte selbst, so dass sich erst mal ein großer Turm an Fragen aufbaut, die unbeantwortet bleiben. Auch wenn Aussagen folgen, kann man sich nicht sicher sein, ob diese der Wahrheit entsprechen.

Mit Schreibmaschine gedruckte Schreiben sind zwischen die einzelnen Kapitel eingefügt und vermitteln Eindrücke, was damals passiert ist, als Johannas Vater verschwand. Das lockert die Geschichte auf und stimmt nachdenklich.

Mir fiel auf, dass ich recht wenig über die Zeit Ende der 80er Jahre und auch aus der DDR-Zeit davor weiß. Angela Davis war mir zum Beispiel kein Begriff.

Ein wenig stört mich, dass die direkt Rede nicht eindeutig gekennzeichnet ist, aber daran habe ich mich schnell gewöhnt. Ansonsten formuliert Paula Fürstenberg sehr schöne Sätze und bringt die Charakterzüge der einzelnen Figuren wunderbar zur Geltung, allen voran Johanna, die innerlich zerrissen ist und mit aller Macht versucht, die Wahrheit herauszubekommen. Die Bilder, die benutzt werden, veranschaulichen sehr lebhaft, wie zum Beispiel der Besuch im DDR-Museum. Besonders passend war Johannas Aussage „Die Erinnerungen, dachte ich, sind nicht für die gemacht, die damals gelebt haben. Hier werden künstliche Erinnerungen produziert. Für Menschen, die nicht dabei waren. Für Menschen wie mich. Dennoch wurde ich den Eindruck nicht los, in diesem Museum fehl am Platz zu sein.“ (S. 107). Es gibt zu viele individuelle Erinnerungen, als dass man sie in ein Museum mit kollektiven Ausstellungsstücken finden könnte.

Ein wunderbarer Roman über unsere jüngere Geschichte, die einen nachdenklich zurücklässt.