Rezension

fesselnd und beklemmend

Lost Boy - Johannes Groschupf

Lost Boy
von Johannes Groschupf

Bewertet mit 5 Sternen

„...Ich ging. Neben mir die Elbe und vor mir der beginnende Morgen. Und hinter mir ein Leben, von dem ich nichts wusste...“

 

Schon im Prolog, der einen Traum wiedergibt, wird ein Motiv eingeführt, das sich dann durch die gesamte Geschichte zieht: die Musik dröhnender Bässe.

Ein junger Mann wacht auf dem Hamburger Hauptbahnhof auf. Er hat weder Handy noch Papiere bei sich. Er weiß nicht, wie er an den Ort gekommen ist. Seine einzige Erinnerung besteht aus einem Namen: Lennart

Obiges Zitat beschreibt seine momentane Lage.

Der Autor hat einen fesselnden Jugendroman geschrieben. Lennart ist der Ich-Erzähler. Dadurch wirkt die Geschichte sehr authentisch.

Die Personen werden gut charakterisiert. Dabei geschieht das insbesondere bei Lennart durch sein Handeln. Trotzdem lässt der Autor mir als Leser einen gewissen Spielraum für eigene Schlussfolgerungen, da manches nur angedeutet und erst später verfeinert wird. Auf dem Hamburger Fischmarkt spricht der Fischhändler Werner den Jungen an und bietet ihm Arbeit. Am Ende des Tages gibt er ihm auch eine Unterkunft. Nach und nach kommt bruchstückhaft die Erinnerung zurück.

Der Schriftstil des Buches lässt sich angenehm lesen. Die Örtlichkeiten werden sehr gut beschrieben. Das betrifft unter anderem den Hamburger Fischmarkt und die Szenetreffs in Berlin.

Hinzu kommt, dass die Sprüche auf dem Fischmarkt aus der Realität entnommen wurden. In Berlin trifft Lennart auf alte Freunde. Doch es scheint sich viel verändert zu haben. Lennarts Unsicherheit, seine Suche nach der Wahrheit werden gekonnt wiedergegeben. Dabei lässt er sich schnell ablenken, denn es gibt ein Thema, das ihn beherrscht. Er hat ein besonderes Ohr für den Sound des Lebens. Interessant fand ich die geschickt eingeflochtenen Informationen darüber, was ein ausgefeilter Sound mit den Zuhörern macht. Und genau hier liegt der Knackpunkt des Geschehens. Entscheidende Situationen in Lennarts letzten Lebenswochen wurden durch Musik beeinflusst. Zu den sprachlichen Höhepunkten gehört für mich der Dialog zwischen Lennart und Bulgur. Bulgur, einstiger Freund von Lennart, hat die Seiten gewechselt. Was das genau bedeutet, möge der zukünftige Leser selbst herausfinden. In dem Gespräch aber treffen zwei Lebenseinstellungen aufeinander. Bulgur sieht sich als Puppenspieler, der die Menschen nach seinem Willen tanzen lässt. Dabei hat er eine Grenze überschritten. Für Lennart ist der Sound ein Lebenselixier, was Freude bringen soll. Der Autor zeigt die dunklen Seiten von Berlin – ein verlassenes Möbelhaus, in dem sich Obdachlose eingerichtet haben, alte U-Bahnhöfe, die kaum noch einer kennt und ehemalige Fabrikgelände, deren Weitläufigkeit die Möglichkeit der Anonymität bietet. Das wirkt wie ein gewollter Gegensatz zu dem bunten Lebendigkeit des Hamburger Fischmarkts. Gleichzeitig treffe ich als Leser auf eine junge Generation, die noch ihren Weg sucht und deshalb manipulierbar ist.

Das Cover mit dem Jungen zwischen den Zügen auf den Bahnhof wirkt düster.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es ist eine berührende Geschichte, die stellenweise in psychische Tiefen geht und die dunklen Seiten des Lebens nicht ausspart.