Rezension

Ganz anders als erwartet, aber toll.

Rot wie das Meer
von Maggie Stiefvater

Wenn ich Maggie Stiefvater höre, denke ich sofort an die wunderschöne Trilogie rund um die Wölfe von Mercy falls, die mich von Anfang bis Ende bezaubert hat. Als dieses Jahr dann der letzte Band erschien und die Geschichte von Grace und Sam damit zu Ende war, blieb ich doch etwas wehmütig zurück. Als ich dann erfahren habe, dass eine weitere Geschichte von Maggie Stiefvater bei uns erscheinen wird, war ich natürlich gleich Feuer und Flamme. Ich habe mich gefragt, ob sie es wohl ein weiteres Mal schafft, mich zu begeistern. Jetzt habe ich das Buch gelesen und kann mir meine Frage selbst beantworten. JA, SIE KANN! 

An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass Maggie Stiefvater wirklich eine außergewöhnliche Art zu Schreiben hat. Bei ihr kommt es nicht nur auf das an, was man direkt vor Augen hat, sondern auch darauf, was zwischen den Zeilen geschrieben steht. Einige Dinge setzt sie dem Leser nicht direkt vor, sondern überlässt es ihm, sich ein Bild davon zu machen und genau das fasziniert mich so an ihren Geschichten. Mit nur wenigen Worten erschafft sie eine Umgebung und die dazu passende Atmosphäre, wodurch man immer mittendrin (statt nur dabei) ist. 

Rot wie das Meer erlebt man aus der Sicht zweier Personen. Kate, genannt Puck, und Sean. Puck ist ein aufgewecktes Mädchen, für die Familie alles bedeutet. Ihre Familie sind nur noch ihre Brüder Finn und Gabriel, denn ihre Eltern sind nicht mehr am Leben. Sie hat scheinbar eine Veranlagung zu impulsiven Entscheidungen und eine davon bring sie dazu, am Skorpio-Rennen teilzunehmen. Als erste Frau überhaupt und mit einem normalen Pferd anstelle eines Capall Uisce, eines Wasserpferdes. 

Sean, viermaliger Gewinner eben jenes Rennens, hält das für verrückt. Er ist ein in sich gekehrter Charakter und hat auch etwas von einem Außenseiter. Alle Bewohner kennen ihn, aber nur die wenigsten "mögen" ihn wirklich. "Pferdeflüsterer" ist einer der Namen, die man ihm gegeben hat. Nichtsdestotrotz genießt er den Respekt der Leute, denn er ist wohl der Einzige, der die gefürchteten Capaill Uisce wirklich im Zaum halten kann, insofern dies überhaupt möglich ist. 

Die erste Begegnung der beiden verläuft alles andere als gut. Doch mit der Zeit müssen die beiden sich eingestehen, dass sie mehr verbindet, als es auf den ersten Blick scheint. Maggie Stiefvater verzichtet in Rot wie das Meer auf Kitsch und lässt die Beziehung zwischen Puck und Sean langsam heranwachsen. Das Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf der Liebesgeschichte, weswegen vermutlich manche Leser enttäuscht sein werden. Romantische Momente gibt es anfangs gar nicht, gegen Ende hin dann auch nur selten. Das Augenmerk liegt ganz klar auf anderen Aspekten der Geschichte.

Puck und Sean haben beide dasselbe Ziel: Sie wollen das Rennen gewinnen, nur dann gehen ihre größten Wünsche in Erfüllung. Im Buch geht es hauptsächlich darum, wie die beiden sich auf das Rennen vorbereiten. Sie haben Erfolgserlebnisse, müssen aber auch Rückschläge einstecken, allen voran Puck, weil eigentlich niemand sie bei dem Rennen dabei haben will und auch Nicht-Teilnehmer ihr davon abraten, mit ihrer Stute Dove am Skorpio-Rennen teilzunehmen. So lernen wir einige der Bewohner Thisbys kennen, die sich im engeren Umfeld von Puck und Sean befinden. Sie alle sind etwas eigenartig. Keiner von ihnen ist perfekt, sie alle haben Ecken und Kanten, was sie wiederum sympathisch macht. Es gibt aber auch Charaktere, die mag man einfach nicht. Aber ohne sie wäre es ja auch langweilig. 

Wie die Pferde, so hat auch das Buch zwischenzeitlich leider etwas auf der Stelle getreten. Puck wird andauernd von der Teilnahme abgeraten und Sean denkt viel darüber nach, was sein Wasserpferd Corr ihm bedeutet. Langweilig war es nie, ich wollte einfach nur, dass es weitergeht. Maggie Stiefvater hat durch viele kleine Ereignisse, die abseits der Rennstrecke und der eigentlichen Vorbereitungen für das Rennen stattfinden, immer wieder Spannungsmomente und unerwartete Wendungen eingebaut, so dass das Buch auch gar nicht langweilig werden konnte. 

Ich habe das Geschehen mit Spannung und Faszination verfolgt und konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Man verbringt eigentlich nur "wenige Wochen" mit den beiden Protagonisten, dennoch wachsen sie einem sehr ans Herz. Ihre Entwicklung zu verfolgen hat Spaß gemacht und ich glaube, am Ende der Geschichte haben beide dann mehr gewonnen, als sie eigentlich wollten. Ich muss zugeben, ich hatte mir den Höhepunkt der Geschichte etwas anders, spannender und hektischer vorgestellt, aber so, wie er war, hat er mir auch sehr gut gefallen! Ich kann aber auch verstehen, wenn anderen Lesern das eigentliche Rennen zu kurz kommt, denn es nimmt wirklich nur eine ganz kurze Passage in Anspruch. Insofern ist der Klappentext vielleicht etwas unglücklich gewählt, weil er das Rennen in den Vordergrund rückt und man quasi nur auf den "Startschuss" wartet, der allerdings lange auf sich warten lässt.

Die Insel Thisby und die Capaill Uisce, die jeden November an den Strand "gespült" werden, geben dem Leser einige Rätsel auf und nicht jedes davon wird aufgelöst. Die Autorin hat auch davon abgesehen, seitenlange Erklärungen zu den Capaill Uisce zu geben. Sie werden im Buch einfach als etwas ganz "Natürliches" dargestellt, wodurch sie auch für mich als Leserin keine Fantasy-Wesen waren, sondern einfach ein Bestandteil des Lebens auf der Insel Thisby. Es war mir so, als würden sie einfach dahin gehören und dass ohne sie etwas fehlen würde. In vielen Büchern würden solche Wesen vielleicht fremdartig wirken, nicht so in Rot wie das Meer.

Wenn mich nun jemand fragen würde, worum es denn eigentlich in dem Buch geht, dann wäre das gar nicht so einfach zu beantworten. Der Klappentext verspricht ein spannendes Rennen und das gibt es auch, allerdings ist es nur sehr kurz, dafür aber heftig. Liebe, ja, die gibt es auch, aber auch nur spärlich, dafür aber nachvollziehbar. Wovon es eine ganze Menge gibt, sind Pferde. Wer mit diesen Geschöpfen also nichts anfangen kann, sollte wohl lieber die Finger vom Buch lassen, denn in dem Buch geht es so oft und so detailreich um Pferde, dass ihr sie fast sogar schon riechen könnt. ;)
Ich würde sagen, dass Buch handelt von ein paar Wochen im Leben zweier Menschen, die dasselbe Ziel, aber unterschiedliche Beweggründe haben und wie sich diese beiden den Herausforderungen stellen, die die Zeit rund um das Skorpio-Rennen so mit sich bringt und wie sie verändert daraus hervorgehen. Verändert durch die Ereignisse, aber auch verändert durch den jeweils anderen. Die Entwicklung der Charaktere ist Dreh- und Angelpunkt der Geschichte.

Ich finde das Buch toll. Ich verstehe es aber auch durchaus, wenn man vom Buch enttäuscht ist, weil man sich vielleicht etwas anderes vorgestellt hat. Mehr Romantik oder mehr Action, beispielsweise. 

FAZIT                                                                                                                                                         

Rot wie das Meer hat meinen Erwartungen nicht entsprochen, weswegen ich dem Buch aber auch nicht böse bin. ;) Die Geschichte hat mir mit all den unterschiedlichen Charakteren und der rätselhaften Welt der Capaill Uisce wirklich gut gefallen. Ich persönlich würde mich in den Novemberwochen nicht auf die Insel Thisby trauen, aber das Geschehen aus "sicherer Entfernung" zu beobachten war einfach mitreißend. Ich wollte, dass Puck gewinnt, habe aber auch mit Sean mitgefiebert und das nicht nur während des Rennens, sondern auch die ganze Zeit davor, weil es ihnen nicht leicht gemacht wird. Ihr Durchhaltevermögen in allen Ehren. 
Ja, Rot wie das Meer ist "anders" und auch anders als erwartet, dennoch ,oder vielleicht auch gerade deswegen, ein Buch, das man sich nicht entgehen lassen sollte.