Rezension

Geistreich und witzig, dabei trotzdem spannend

Der rote Stier
von Rex Stout

Bewertet mit 4 Sternen

Vielleicht nicht unbedingt auf gleichem Niveau wie „Es klingelte an der Tür“ (März 2017) oder „Zu viele Köche“ (November 2017), aber voller Geist und Witz immer noch um Längen besser als die bluttriefenden Psychothriller heutiger Zeit ist der schon vor 80 Jahren erstmals erschienene, im April bei Klett-Cotta nun als dritter Band der Neuausgabe veröffentlichte Krimi „Der rote Stier“ des amerikanischen Bestseller-Autors Rex Stout (1886-1975). Obwohl Stout eher als politischer Schriftsteller bekannt ist, der seine vielschichtige Kritik an Staat und Gesellschaft in spannende Kriminalfälle um den Orchideen züchtenden Meisterdetektiv Nero Wolfe verpackte, geht es diesmal eher um gutes, vielleicht auch nicht so gutes Essen. Aber auch darin ist übergewichtige Nero Wolfe, der üblicherweise sein Haus nicht verlässt, dafür seinen „Laufburschen“ Archie Goodwin hat, ein Meister auch dieses Faches.

Diesmal hat Nero Wolfe ganz gegen seine Gewohnheit sein Apartement verlassen, um einige seiner seltenen und selbst gezüchteten Orchideen auf einer landwirtschaftlichen Ausstellung zu präsentieren. Auf der Hinfahrt baut sein junger Assistent und Chauffeur Archie einen Unfall, was beide zu unfreiwilligem Aufenthalt im Landhaus von Thomas Pratt zwingt, dem Eigentümer einer ersten US-Fast-Food-Kette. Pratt hat gerade den berühmtesten Zuchtbullen der USA überteuert gekauft, um ihn auf einer Galaparty seinen VIP-Gästen werbewirksam als Beefsteak zu servieren. Doch in derselben Nacht findet man eine Leiche in der Koppel, angeblich das Opfer des Bullen, doch Wolfe ahnt schon einen Mordfall. Während Wolfe's Ermittlungen, mit denen er vom Vater des Opfers beauftragt wird, verendet der Bulle überraschend an Milzbrand und sein Kadaver wird sofort verbrannt. Am anderen Tag findet man auf dem Ausstellungsgelände eine weitere Leiche unter Stroh versteckt.

Die Aufklärungsarbeit gestaltet sich schwierig für den Meisterdetektiv: Immer, wenn er ein Indiz für die von ihm geheim gehaltene Theorie gefunden zu haben glaubt, kommt ihm das Beweismittel abhanden. Aber wie soll er den Täter ohne Beweismittel entlarven? Schließlich greift Nero Wolfe zu einem überraschenden Bluff – natürlich mit erhofftem Erfolg.

Sein Assistent Archie Goodwin erzählt uns diese Geschichte wieder auf die ihm eigene humorvolle, oft witzige Art. Obwohl er absolut loyal zu seinem Chef steht, nimmt er sogar Wolfe nicht immer ganz ernst, mokiert sich über dessen Marotten, lästert aber auch über die anderen Personen wie über sich selbst und springt nicht einmal mit seiner neuen Freundin allzu charmant um, wie es sich heute kein Mann mehr erlauben dürfte.

Diese Erzählweise lässt den Krimi locker erscheinen, obwohl doch eine Menge Politik- und Sozialkritik in ihm steckt. Da ist zunächst der Spott über die für Außenstehende albern erscheinenden Übertreibungen der [amerikanischen] Viehzüchter mit ihrem kultigen Verhalten, das dem einer Sekte fast ähnelt. Zudem kritisiert der Autor vehement die in den USA aufkommende Fast-Food-Versorgung, wenige Jahre bevor die erste McDonald-Filiale eröffnet wird, wobei Stout schon 1938 den damaligen Hamburger-Produzenten zutraut, alles Mögliche in ihre Frikadellen reinzupacken, nur nicht gutes Fleisch. Etwas politisch wird Stout dann doch noch, wenn er die unprofessionelle Arbeit der Polizei karikiert oder Archie Goodwin bei dessen Kurzaufenthalt in der Gefängniszelle spontan eine Gefangenen-Gewerkschaft zur Verbesserung der Verhältnisse in amerikanischen Gefängnissen gründen lässt.

Zwar sind alle Krimis von Rex Stout natürlich Fiktion, aber in allen Romanen zeigt er auf bestimmte Missstände, so auch im „roten Stier“. Allerdings: Diesem Krimi merkt man sein Alter an. Denn in den nachfolgenden 80 Jahren hat sich dann doch einiges in Staat und Gesellschaft verändert – auch in den USA. Sogar zum Guten. Aber besser als viele heutige Krimis ist Rex Stouts lesenswerter Roman von 1938 in zeitgemäßer Neuübersetzung allemal.

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 05. August 2018 um 17:47

Dann muss ich den Namen Rex Stout nochmal in rot in der Merkliste notieren ;)

Danke für diese tolle und aufschlussreiche Rezension!