Rezension

großartiger Anfang, schlechtes Ende - außerdem Thema verfehlt

Das Blut der Lilie - Jennifer Donnelly

Das Blut der Lilie
von Jennifer Donnelly

Bewertet mit 3.5 Sternen

Andi, eine Schülerin kurz vor dem Abschluss, hat ihren kleinen Bruder verloren und gibt sich selbst die Schuld daran. Nur die Musik hält sie noch am Leben. Ihre Familie ist an diesem Schicksalsschlag zerbrochen: Der Vater ist ausgezogen und hat sich eine junge Geliebte genommen, die Mutter lebt in ihrer eigenen Welt und malt nur noch Portraits von ihrem toten Sohn. Und Andi, einst Einser-Schülerin, ist kurz davor, von der Schule verwiesen zu werden. Als der Vater mitbekommt, dass seine Tochter wohl keinen Abschluss bekommt, verfrachtet er die Mutter kurzerhand in ein Krankenhaus und nimmt Andi mit auf eine Geschäftsreise nach Paris, um ein Auge darauf zu haben, dass sie endlich an ihrer Abschlussarbeit arbeitet. In Paris findet Andi dann einen alten Gitarrenkoffer, in dem in einem kleinen Geheimfach ein kleines Bildnis von Louis Charles - dem Königssohn, der während der französichen Revolution umgekommen ist - und ein Tagebuch seines Kindermädchens versteckt waren. Sie beginnt zu lesen ...

Die ersten 3/4 des Buches sind wundervoll geschrieben: Viele kleine Einzelheiten sind mit unheimlich viel Herzblut geschildert. Man kann Andi und ihren Schmerz förmlich miterleben. Und ganz toll wird erzählt, wie ihr die Musik hilft, wie sie dann aber erneut in ein Loch fällt und sich wieder das Leben nehmen will. Doch dann gibt es einen Schnitt und das letzte Viertel fällt drastisch ab. Kurz und knapp werden nur noch Handlungen beschrieben und der letzte Teil des Buches ist mehr ein Epilog. Ich hatte den Eindruck, dass das letzte Viertel von einem Ghostwriter geschrieben wurde oder die Autorin auf Krampf versuchte, das Buch irgendwie zuende zu bringen.

Aufgrund der Inhaltsangabe bin ich davon ausgegangen, dass das alte Tagebuch Andi hilft, aus ihrer Trauer und ihren Depressionen herauszukommen. Wer diesen Inhalt erwartet, wird enttäuscht werden: Nachdem Andi das Tagebuch gelesen hat, will sie sich erneut umbringen. Und wie Andi es letztendlich schafft, wieder ins Leben zu finden, bleibt ein Geheimnis. Nachdem ihr Selbstmordversuch vereitelt wurde, hat sie kurz darauf einen Traum, in dem sie in das Frankreich zur Zeit der Revolution versetzt wird. Danach kommt nur noch ein Epilog, der eine kurze Übersicht darüber gibt, dass ein Jahr später alles wieder in Ordnung ist. Insofern bleibt mir nur das Resümee: Thema verfehlt. Aufgrund des wunderschönen Anfangs bleibt das Buch jedoch lesenswert. Man muss es danach nur weglegen und sich seine eigenen Gedanken machen. Mit dem alten Tagebuch hatte ich zeitweise meine Probleme, weil erhebliche Zeitsprünge darin enthalten sind.