Rezension

Gut, spannend: und bedrückend

Sand - Wolfgang Herrndorf

Sand
von Wolfgang Herrndorf

Bewertet mit 4 Sternen

Herrndorfs Roman »Sand« spielt in Nordafrika. Im ersten Teil gibt es verschiedene Erzählstränge: Ein Mann, Amadou, soll Mitglieder einer Hippie-Kommune getötet haben; es wird von zwei Polizisten erzählt, die mit seinem Fall zu tun bekommen; vor allem einer der beiden, Polidorio, hält es für möglich, dass Amadou unschuldig ist, und beginnt nachzuforschen; Helen, eine Vertreterin für Kosmetikartikel, taucht auf; ein Mann namens Lundgren wird ermordet; abwechselnd wird in Szenen von diesen verschiedenen Personen erzählt. Ob und wie das alles zusammenhängt, bleibt zunächst unklar.

Dann nimmt der Roman Fahrt auf und wird sehr spannend; jetzt wird die Geschichte eines Mannes erzählt, der nach einem Schlag auf den Kopf nicht mehr weiß, wer er ist, und in der Wüste vor Männern flieht, die ihn ermorden wollen.

Ab jetzt ist der Roman an der Geschichte dieses Mannes und der Suche nach seiner Identität orientiert. Hat er wirklich das Gedächtnis verloren? Simuliert er nur? Menschen, die ihm helfen, fragen sich das. Er wird von verschiedenen Parteien verfolgt, und indem er von einer Gruppe gerettet wird, gerät er zugleich in deren Hände. Er soll etwas herausgeben und weiß nicht, was es ist.

Am Ende des Romans werden die Leserin und der Leser sehen, wie alles zusammenpasst, und die Unklarheit, was die verschiedenen Erzählstränge des Anfangsteils zu bedeuten haben, wird kunstvoll aufgelöst.

Der Roman ist sehr gut geschrieben, nicht einfach ein Unterhaltungsroman; im Anfangsteil brauchen manche Leser (z. B. ich) vielleicht einiges an Durchhaltevermögen. Doch dann ist das Buch nur noch spannend.

Der Autor bietet den Lesern in der Entwicklung und Auflösung seiner Geschichte kein billiges Happy End an. Wer foltert, mag später einen zufriedenen Lebensabend verbringen; wer gequält wird und wem man dann wünscht, dass alles noch – soweit nach solchen Erlebnissen überhaupt möglich – zu einem guten Ende kommt, wird dann aufgrund des Irrtums eines an der Haupthandlung Unbeteiligten erschossen. Kinder des Slums, die sich durch einen kleinen Diebstahl einen Vorteil verschaffen können, werden unter Trümmern begraben.

Der Roman ist sehr gut geschrieben, spannend, aber auch sehr bedrückend: Hoffnung bleibt da keine mehr.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 22. April 2014 um 00:11

Lieber Thomas, "Sand" ist eines der wenigen Bücher, die ich - trotz der wunderbaren Sprache und Sprachgewalt des Autors - abgebrochen habe, ich bin bis ungefähr in die Mitte gekommen (kurz davor) und habe schliesslich jede Hoffnung aufgegeben, z.B. die auf Sinn. Wenn es ihn gegeben hat, ist er mir entgangen. Bedrückend, trifft es gut. Ich hoffe, Afrika ist nicht wirklich so! Ich habe es als Hörbuch hier gehabt, so konnte ich nicht einmal hinten rein blättern, :) sonst hätte ich es bestimmt getan. Ein Verlust für die Lesewelt, dass Herr Herrndorf so früh versterben musste, auf jeden Fall werde ich eines Tages "Arbeit und Struktur" lesen.