Rezension

Hin und wieder ein Lichtblick

Der Russe ist einer, der Birken liebt - Olga Grjasnowa

Der Russe ist einer, der Birken liebt
von Olga Grjasnowa

Bewertet mit 1.5 Sternen

Die Fragen nach der Identität und der Heimat ist riesig – genauso das Selbstmitleid der Protagonistin

»Ich hatte mal ein Buch gelesen, in dem es um Menschen mit traumatischen Störungen ging, so hätte ich mich selber niemals bezeichnet, aber es stand darin, dass wir die Menschen, die wir lieben, vernichten würden.«

Der Anfang war wunderbar. Wirklich. Ich fand es schon spannend, bevor ich überhaupt ein Wort gelassen hatte, denn ich wusste, dass dies von einer Autorin geschrieben wurde, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Und sofort schaltete sich der linguistische Teil meines Gehirns an und ich bemerkte Worte und Satzkonstruktionen, die so nicht von einem Muttersprachler benutzt worden wären. Ein großes Kompliment hier an das Lektorat von dtv, die sich dazu entschieden haben, diesen Charme beizubehalten. (Ein Beispiel: „Zahnbögen“ statt wie es normalerweise heißt „Zahnreihen“) Der Schreibstil war wirklich schön (Am Anfang!), viele klare Sätze, abwechselnd kurze und lange Satzstrukturen und mich abholend/mitnehmend.

Ich hatte keine Erwartungen, was den Inhalt des Buches anging. Klar, der Titel lässt einen vermuten, dass es irgendetwas mit Russland/Sowjetunion zu tun haben könnte, aber es lässt Spezifisches offen und so lernte ich Mascha Kogan unvoreingenommen kennen. Direkt zu Beginn wird sie in eine schwierige Situation geworfen, als ihr Freund Elias beim Fußballspielen ein Beinbruch erleidet. Aber noch vorher, also auf Seite vier erfahren wir, dass in ihrer Beziehung durchaus Reizpunkte bestehen – Maschas Migrationshintergrund. Mit sechs Jahren war sie von Baku nach Deutschland eingewandert als sogenannte Kontingentflüchtlinge. Jüdische Flüchtlinge, die jedoch nicht offiziell als politisch verfolgt galten, da Deutschland ›keinen Stress mit Russland‹ haben wollte. Kommen wir aber wieder zum Anfang. Nämlich auf Seite 1. Die einzige Seite, auf der noch alles in Ordnung ist und Mascha mit Elias im Bett liegt und aufwacht. Oh, Moment, das stimmt nicht, denn auf Seite eins wird die Idylle schon durch ein »Abgewichste Bullenschwuchtel, ich bring dich um!« eines Betrunkenen gestört.

Es gibt keine Idylle in diesem Buch. Es gibt Mascha und es gibt Menschen, die sie umkreisen, als wäre sie die Sonne in persona. Sie wühlt und räkelt und badet in Selbstmitleid, hangelt sich von Beziehung [nicht immer sexueller Art] zu Beziehung, kriegt hysterische Anfälle und Panikattacken. Immer. Und. Immer. Wieder.

Irgendwann war ich so weit, dass ich mein Buch geschüttelt habe, obwohl ich eigentlich sie hatte schütteln wollten. Versteht mich nicht falsch, es war furchtbar interessant, die Geschichte rund um Baku/Israel/Judentum/Rassismus zu lesen; die Erfahrungen und Erlebnisse der Menschen, denen Mascha begegnet, doch sie als Person hat alles zerstört.

»Wonach ich mich sehnte, waren vertraute Menschen, der war der eine tot, und die anderen ertrug ich nicht mehr. Weil sie lebten.«

Sie war passiv und anstrengend. Sie hat kein Rückgrat und obwohl sie anscheinend ein schlaues Mädchen ist, kann sie ihren Grips nicht einsetzen. Ab Seite 25 widerte sie mich an und hätte ich das Buch nicht lesen müssen für ein Seminar, hätte ich gleich dort oder spätestens 100 Seiten weiter mit dem Lesen aufgehört.

Olga Grjasnowa wollte meiner Meinung nach zu viel in einem Roman. Das Buch bringt nichts mit; schenkt dem Leser nichts. War dies die Intention der Autorin? Die Passivität, die Gestörtheit einer Generation zu verdeutlichen, ohne eine Lösungsansatz zu bieten? Ja, so ist ihr dies gelungen, doch es ist kein Roman, den ich [nochmal] lesen möchte.