Rezension

Ich bin am Ende der Lektüre teils positiv überrascht, teils gespalten

Ein sterbender Mann
von Martin Walser

Bewertet mit 4 Sternen

Walser erzählt von einem geplanten Selbstmord. Vorangegangen ist der Verrat der Hauptperson durch den ehemals besten Freund - wobei nicht der Verrat als ursächlich für die Suizidabsicht geschildert wird, sondern die Tatsache, dass eine Welt, in der diese Handlung an der Hauptperson Theo Schadt möglich sei, für diesen nicht mehr lebenswert bleibe – und das, obwohl dieser Verrat nicht nur die persönliche, emotionale Ebene betrifft, sondern existentiell eine bedeutende Investition und Geschäftsgründung zum weitreichenden Totalverlust führt.

Jetzt möchte ich nicht Selbstmord an sich verteufeln - ich kann durchaus tödliche Krankheiten nachvollziehen, Depressionen, die Angst vor leidvollem Sterben - hier spielt sich jedoch der Zustand des persönlichen Affronts, des schlichten Beleidigtseins sehr in den Vordergrund. Existenzängste als Grund für einen Selbstmord werden von Theo Schadt selbst bestritten. Jedoch: Auch hier war ich noch bereit, zu folgen: ich hätte noch nachvollzogen, wenn es um ein „Leiden an der Schlechtigkeit der Welt an sich“ ginge; denn wer möchte ertragen wollen, wenn es um ihn herum nur Willkür gäbe, ohne Chance des Entkommens. Dann dachte ich mir, dass es natürlich nur immer um das gehen könne, was hier der einzelne empfindet, wolle man ihm nicht auch noch seine Individualität rauben, ihm nur eine quasi gesellschaftlich konform gehende Existenz zugestehen.

Sprachlich wurde ich in das Buch hineingezogen, zum Thema passend erschienen mir sowohl Briefroman als auch Ich-Erzähler. Walser erweitert das Thema, indem er parallel mehrere Briefromane laufen lässt, und wechselt vom Ich-Erzähler über ein sehr kurzes "Du" zum "Er". Das offen erklärte Ziel ist die Distanz, und auch wenn man sich als Leser über diesen Kunstgriff als aufgeklärt empfindet, wirkte das überraschend deutlich auf mich, ich blieb weiter am Ball. Verwundert nahm ich war, dass mich einzelne Passagen durchaus köstlich amüsierten, so die Preisverleihung an den früheren Freundes als Jahrmarkt der Eitelkeiten im Literaturbetrieb inklusive einer Lesung mit, ja, pseudo-poetischen schönen Worten ohne jeglichen erkennbaren Sinn. Ich mag nicht die einzige sein, die hier an Hape Kerkelings geniales "Hurz" dachte, Sinnfreies bierernst vorgetragen vor einer Zuhörerschaft, die unbedingt einen Sinn erkennen will; oder an Loriots "Krawehl, Krawehl".

Infolge geht das Geschehen dann doch sehr in die Meta-Ebene, wird durch die Tatsache, dass der Ich-/Er-Erzähler in einem " Thread" des Briefromans wohl mit sich selbst oder dem Autor kommuniziert quasi "Meta-Meta" - hinzukommt die ständige, fast zwanghaft wirkende dreifach-Wiederholung, zum Beispiel "ja, ja, jaaaa" sowie das Stilmittel, etwas auszusprechen, wieder zurückzuziehen, ja, eine Nicht-Beachtung durch das briefliche Gegenüber eloquent einzufordern, also "denk' nicht an einen rosa Elefanten"? Das ist sprachlich meisterhaft, als Stilmittel versiert - wirkt aber auf mich gerade im mittleren Teil zunehmend ähnlich selbstverliebt wie das vorhergetragene Leiden des "Sujets". Etwas „zu Meta“.

Und dann, gerade als ich schon fast bereit war zur Kapitulation nach einer seitenlangen Schilderung über einen Traum als Fortsetzungsgeschichte, auch aufgrund der von mir als immer anstrengender empfundenen Windungen der Sprache, deren Ziel ich dabei aus den Augen verlor, wieder Kleinode, „Ums Altsein“ ebenso wie die folgende sprachliche „Entknotung“, ja, teilweise Konkretisierung. Was am Ende der Lektüre bleibt, ist das Gefühl, sprachliche Meisterschaft ebenso erlebt zu haben, wie die Fähigkeit, im gleichen Text sowohl zu amüsieren, betroffen zu machen, den Leser hineinzuziehen – oder ihn mittendrin völlig zu verlieren, zu überfrachten mit stilistischen Mitteln. Bitte, mehr Walser – aber weniger „Walser um seines Walser-Seins willen“. Ein liebender Mann oder Ein fliehendes Pferd?