Rezension

Jugendthriller, der mich zu zwei Dritteln überzeugt hat

Dark Eden 01 - Das Camp - Patrick Carman

Dark Eden - Das Camp
von Patrick Carman

Bewertet mit 3 Sternen

Pro:
Die Grundidee hat mich direkt angesprochen: sieben an extremen Phobien leidende Jugendliche, eine angebliche Wundertherapie, die die verzweifelten Jungen und Mädchen innerhalb von nur einer Woche heilen soll - wobei sie allerdings alle zusammen in einem düsteren, hässlichen Betonklotz irgendwo im Nirgendwo leben und eine schockierende Behandlung über sich ergehen lassen müssen, an die sie sich nachher nicht mehr erinnern können...

Das versprach ein Buch mit dichter psychologischer Spannung statt brachialer Action, einen Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele... Und ich wurde in dieser Hinsicht nur unwesentlich enttäuscht. Dadurch, dass wir die Geschichte durch die Augen von Will sehen, der panische Angst vor Menschen hat und in jedem Fremden einen potentiellen Feind statt einen potentiellen Freund sieht, entsteht allerdings automatisch eine gewisse Distanz zum Geschehen. Dadurch ist der Spannungsaufbau recht langsam, was mich aber zunächst nicht sonderlich gestört hat - ich konnte das Buch trotzdem nicht weglegen! Was passiert als nächstes, wer ist jetzt damit dran, "geheilt" zu werden?

Es kamen direkt viele, viele Fragen in mir auf: warum gerade diese sieben Jugendlichen? Da steckt doch mehr dahinter, das kann doch kein Zufall sein, dass ein und dieselbe Therapeutin zufällig gerade sieben Jugendliche in Behandlung hat, denen sie angeblich nicht mehr helfen kann, und dann sind sie auch noch zufällig alle 15 Jahre alt? Warum wird nicht mit mehr Nachdruck nach Will gesucht, der sich der Behandlung komplett entzieht? Steht wirklich eine gute Absicht hinter alledem, oder gibt es eine geheime Agenda? Irgendwie ist das doch zu schön, um wahr zu sein?

Ich war von Anfang an sehr neugierig darauf, mehr über die Jungendlichen zu erfahren: was hat die Phobie ausgelöst? Was für Menschen sind das, wenn man sie nicht mehr nur auf ihre Phobie reduziert? Auf viele dieser Fragen bekommt man im Verlauf der Handlung auch noch Antworten - nur haben die mich leider nicht immer befriedigt (s. "Kontra"). Dennoch ist die Handlung originell und hat ihre ganz eigene Ausstrahlung.

Der Schreibstil ist eher nüchtern, aber ich fand ihn angemessen für Wills paranoide, zwangsweise distanzierte Gefühlswelt und passend zur düsteren, unheilsschwangeren Grundstimmung.

Kontra:
Einerseits weiß Will sehr viel über die anderen Jugendlichen, denn er hat schon vor der "Wundertherapie" heimlich Informationen und Audio-Mitschnitte derer Therapiestunden vom Rechner der Therapeutin geklaut. Andererseits verhindert seine Phobie, und die Tatsache, dass er sich den größten Teil des Buches in einem kleinen Kellerraum versteckt, von dem aus er die Geschehnisse nur über Monitore beobachten kann, dass wirklich eine tiefere Nähe zu den anderen Charakteren entsteht.

Die Szenen, in denen die Jugendlichen geheilt werden, haben mich einerseits fasziniert, aber andererseits liefen sie nach der ersten dieser Szenen ziemlich nach Schema F ab. Und für meinen Geschmack hätte ich zusätzlich gerne noch viel, viel mehr über das Leben und die Ängste der Charaktere erfahren!

Manches ist ein bisschen klischeehaft, wie z.B. die unhöfliche, geradezu bösartige alte Haushälterin oder der gütige alte Arzt/Wissenschaftler, aber das hielt sich noch in gut erträglichen Grenzen. Leider musste natürlich auch noch eine Liebesgeschichte der Geschichte geradezu aufgezwungen werden - sie fühlte sich für mich kein bisschen echt an und die große Gefühlsoffenbarung ging einfach auf einmal viel zu hoppla-hopp.

Wie schon erwähnt ist der Spannungsaufbau eher langsam und es gibt wirklich wenige Szenen, in denen sie sich dann doch einmal jäh steigert - meist die "Heilungsszenen", von denen man nie so richtig weiß, ob sie Anlass zu Freude oder Entsetzen sind. Wenn man sich von dem Gedanken verabschieden kann, dass "Dark Eden" ein Thriller ist und sich statt dessen einfach auf die unterschwellige Bedrohlichkeit und das Puzzlespiel, das einem nach und nach mehr über die Protagonisten und das Camp enthüllt, einlassen kann, stört das meiner Meinung nach aber gar nicht so sehr... Jedenfalls in den ersten zwei Dritteln des Buches.

Was mich danach allerdings empfindlich gestört hat: bis dahin war das Buch für mich ein gar nicht so unrealistischer, sozialkritischer Jugendroman mit Thriller-Elementen - schließlich sind in Amerika tatsächlich schon seit vielen Jahren sogenannte (Um)Erziehungs-Camps sehr beliebt, in denen oft fragwürdige Erziehungs- bzw. Heilungsmethoden praktiziert werden. Und dann... passiert auf einmal was ganz Unglaubliches, was aus heiterem Himmel kommt und das Buch in ein ganz anderes Genre katapultiert, nämlich in die paranormale Ecke! Das fühlte sich für mich eher aufgesetzt an und ich hätte viel lieber eine logische, realistische Erklärung bekommen. Fast kam es mir vor, als hätte der Autor es sich mit dem Ende ein bisschen zu einfach gemacht.

Das ist sicher auch Geschmackssache und manch ein Leser wird sich vielleicht über die große Überraschung freuen - ich kam mir eher so vor, als hätte ich einen leckeren Eisbecher bestellt, in dem ich dann ganz unten eine saure Gurke fand.

Zusammenfassung:
"Dark Eden" ist definitiv nicht das beste Buch, dass ich dieses Jahr gelesen habe, aber bei Weitem auch nicht das Schlechteste. Dennoch fühle ich mich zwiegespalten: die ersten zwei Drittel fand ich richtig gut, das letzte Drittel dann zunehmend schlecht... Dennoch bin ich neugierig auf Band 2 und hoffe darauf, dass die paranormalen Elemente geschickter und nahtloser in die ansonsten realistische Handlung eingebunden werden.