Rezension

Kaleidoskop

Rombo -

Rombo
von Esther Kinsky

Rombo: Das ist das Geräusch, das meist einem Erdbeben vorausgeht. Der Einleitungstext des ersten Abschnittes zitiert ein altes Geologie-Fachbuch zur Erklärung dieses Phänomens. Dann folgt eine bunte Mischung an Abschnitten: Sachliche Beschreibungen der Landschaft, verschiedener Pflanzen und Tiere, und immer wieder Erinnerungen von sieben Dorfbewohnern, die zur Zeit des Erdbebens 1976 im Friaul alle noch jung und überwiegend noch Kinder waren. Anselmo, Olga, Lina, Mara, Gigi, Toni und Silvia erzählen, was sie damals erlebt haben. Und wie die Erde in Bewegung geraten ist, ist es auch ihr Leben. Einige von ihnen hatten schon eine Reise hinter sich; so ist Anselmo mit Vater und Schwester aus Deutschland gekommen, aber seine Mutter ist dort geblieben, Olga stammt aus Venezuela, Toni zieht es nach Russland. Alle Kinder werden nach dem zweiten Beben evakuiert, und viele kehren nicht mehr zurück. Die Erschütterung der Erde, die Verschiebung der Erdplatten hat nicht nur die Landschaft verändert und die von Menschhand errichteten Gebäude beschädigt, sie hat auch in das soziale Gefüge des Dorfes eingegriffen. Das bringt der wortkarge Ziegenhirte Gigi auf den Punkt: "Was ist ein Erdbeben? Ein Erdbeben ist doch, als bewegte sich etwas Gewaltiges im Traum. Oder als wäre einem Riesen nicht wohl im Schlaf. Und das Erwachen ist eine neue Ordnung der Dinge in der Welt. Da wird der Mensch mit seinem Leben so klein wie der kleinste Stein im Fluss." (S. 254)

Es fällt mir schwer, dieses Buch zu rezensieren. Ja, es ist sprachlich wunderbar geschrieben. Naturbeschreibungen wechseln sich mit den Erinnerungen ab, die Jahrzehnte später erzählt werden. Die sieben Erzählperspektiven beleuchten unterschiedliche Aspekte, und hin und wieder beziehen sie sich aufeinander. Das ist wie ein Kaleidoskop, das unterschiedliche Ausschnitte zeigt, die sich nach einem Schütteln oder einer Drehung wieder neu anordnen. Es ist hervorragend gestaltet. Und doch: Irgend etwas fehlt mir. Das Entsetzen, die Ohnmacht, die Ängste - sie bleiben blass für mich. Liegt es daran, dass die Erinnerungen erst Jahrzehnte später abgerufen werden und die Emotionen dadurch schon abgekühlt sind? Ist es die Mischung mit den Sachtexten, die wieder auf eine objektive Ebene führen? Oder ist der Grund, dass wir vor kurzem in dieser Gegend ebenfalls eine Naturkatastrophe erlebt haben, so dass ich zu betroffen bin? Wie auch immer: Das Buch hat mich auf intellektueller Ebene angesprochen, aber emotional kaum berührt. Gut gemacht, aber nicht meins.

Das Buch steht auf der Nominierungsliste zum Deutschen Buchpreis 2022.