Rezension

Kein Tag wie jeder anderer

Ein Tag mit Herrn Jules - Diane Broeckhoven

Ein Tag mit Herrn Jules
von Diane Broeckhoven

Jules und Alice sind schon über fünfzig Jahre verheiratet, und sie haben einige Rituale im Alltag entwickelt: So kocht Jules jeden Morgen den Kaffee, und Alice setzt sich dann an den gedeckten Tisch. Doch heute ist zwar der Kaffee fertig, aber Jules sitzt auf dem Sofa und regt sich nicht mehr: Er ist tot. Was soll Alice nun tun? Eigentlich müsste sie den Sohn informieren und den Bestatter holen, doch das geht ihr zu schnell. Sie muss das Geschehen erst verarbeiten, sich über ihre Erinnerungen und Gefühle klar werden und sich von ihrem Ehemann verabschieden. Die gewohnten Rituale geben ihr Halt und so zieht sie zunächst dem Toten die Pantoffeln an und frühstückt.

In ihren stillen Abschied von ihrem Mann platzt die Nachbarin hinein: Ihr autistischer Sohn David spielt während der Ferien um zehn Uhr eine halbe Stunde Schach mit Jules. Heute muss er früher kommen, denn ihre Mutter hatte einen Unfall, und sie bringt ihn auch am Abend. Alice verheimlicht den Tod ihres Mannes, doch wie wird David reagieren, den jede ungewohnte Situation aus dem Gleis wirft?

Dieses Buch ist ruhig und still. Es gibt keine action und keine Gefühlsausbrüche. Jules ist ohne Aufheben gestorben, und Alice lässt ihr Leben in der Erinnerung an sich vorbeiziehen. Dabei gab es durchaus dramatische Situationen: Als Jules sie mit Olga betrog, als sie auf einer Reise nach Paris eine Fehlgeburt erlitt... Sie geht immer weiter zurück in die Vergangenheit bis hin zu Szenen mit ihrem Vater. Bei allen aufwühlenden Erinnerungen bleibt aber das Grundgefühl versöhnlich.

Das Buch setzt sich auseinander mit dem plötzlichen natürlichen Tod, der in unserer Gesellschaft meist "totgeschwiegen" wird. David betrachtet das ganz sachlich: "Herr Jules ist nicht krank. Herr Jules ist tot." Angst hat er nicht, und er kann ruhig neben der Leiche sitzen. Auch er, der immer Distanz braucht, verabschiedet sich mit einem zärtlichen Streicheln. "Herr Jules ist weg. Das ist die Hülle von Herrn Jules." Bei aller Rationalität kann so auch David seine Gefühle verarbeiten.

Ein ruhiges, zärtliches Buch, das mich sehr angesprochen hat: Vor einem Jahr ist mein Vater zu Hause gestorben. Und im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, dass nicht die ganze Familie in hilflosen Aktionismus verfallen wäre, sondern dass wir alle uns mehr Zeit genommen hätten.