Rezension

Konnte nicht durchgehend begeistern

Ein deutscher Sommer - Peter Henning

Ein deutscher Sommer
von Peter Henning

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es ist schon über 25 Jahre her, dass zwei Geiselnehmer aus Gladbeck die Republik für 54 Stunden in Atem hielten und auch noch lange danach in einen schockähnlichen Zustand versetzten.

Am 16. August 1988 überfallen Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner, die der Polizei wegen kleinkrimineller Delikte bekannt waren, die Filiale der Deutschen Bank. Dieser Banküberfall eskaliert zu der wohl spektakulärsten und blutigsten Geiselnahme der deutschen Geschichte.
Während die Geiselnehmer unbehelligt einen Bus kapern und ihre Geiseln kreuz und quer durchs Land kutschieren, sieht die Polizei völlig überfordert tatenlos zu, und die Moral der Journalisten scheint auf der Strecke zu bleiben. Schamlos interviewen sie die Täter und verhandeln mit ihnen, während diese drohend ihre Pistolen an die Köpfe ihrer verängstigten Opfer halten. Nach insgesamt 54 Stunden wird die Odyssee, die von zahlreichen Versäumnissen der Polizei gezeichnet wurde und eine ganze Nation wie eine unwirkliche Situation gebannt in den Medien verfolgte, mit einem Blutbad beendet.

Nach 25 Jahren hat sich der Autor Peter Henning diesem bis heute noch sensiblen Thema, in seinem neuen Buch „Ein deutscher Sommer“ gewidmet. Für mich persönlich war es der erste Kontakt zu dieser unglaublichen fast unwirklich scheinenden Tat, einem kollektiven Versagen der Polizei und einem unfassbaren Medienspektakel. Henning formte für diesen Roman fiktive aber auch reale Personen, die dem Leser einen großzügigen Einblick in ihr Leben und die damalige Zeit gewähren. 54 Stunden, die jeder von ihnen unterschiedlich erlebt hat. Die einen unmittelbar, wie die Geiselnehmer, zwei skrupellose und dumpfe Figuren, die erkannt haben, wie man sensationsgierige Journalisten für sich nutzen kann. Ein Journalist, der über das Geiseldrama berichtet, während sein Sohn auf einer neonatologischen Station um sein Leben kämpft. Oder der SEK-Beamte, der den Geiselgangstern tatenlos bei ihrer Flucht zusehen muss. Aber einige erleben diese Geschehnisse aktiv oder passiv aus der Ferne und verfolgen diese durch die Medien, wie die erfolgreiche Romanautorin Brigitte, die mit schmerzhaften Erinnerungen kämpft. Einige der insgesamt 7 Figuren werden erst im Laufe der Geschichte ins Geschehen verwickelt und müssen am eigenen Leib erfahren, wozu Menschen fähig sind.

Und diese vielen kleinen Geschichten mit ihren verschiedenen Blinkwinkeln fügt Henning wie kleine Puzzleteile zu einem Großen zusammen. Ich habe ganz bewusst einige Tage nach dem Lesen dieses Romans genutzt, um mir Gedanken darüber zu machen. Es war sehr schwierig für mich, dieses Buch zu beurteilen, denn ich habe durch Henning erst von den schrecklichen Taten von Rösner und Degowski erfahren. Am Anfang habe ich dieses Buch voller Wissbegierde gelesen. Alle Personen und Situationen wurden von Henning so beschrieben, dass sie völlig nachvollziehbar waren. Jedes noch so kleine Detail habe ich ergründet und für mich abgespeichert. Ganz bewusst habe ich mich im Vorfeld dazu entschieden, keinerlei Recherchen neben dem Lesen durchzuführen. Doch gerade um den 25. Jahrestag dieser Tat war es sehr schwierig, diesem Thema in den Medien auszuweichen. Ich glaube, dass ich sogar einen großen Vorteil dadurch hatte, denn ich konnte diese Tat aus den verschiedensten Blickwinkeln und quer durch alle Gesellschaftsschichten erleben und nicht nur aus der Sicht der Medien.
War es am Anfang für mich noch sehr interessant, alle Handlungssträngen und Schicksalen zu folgen, wurde es je näher das Ende kam, etwas mühseliger die Geschichte weiter zu lesen. Beschreibungen Hennings wurden zu detailverliebt und die Schicksale abseits der Geiselnahme übertrieben aufgebauscht. Das Buch verlor mit jedem Perspektivenwechsel an Dynamik und oft kam mir der Gedanke, dass es vielleicht besser gewesen wäre, die Geschichte um ein paar Figuren zu erleichtern, weil einige von ihnen für den Leser nicht schlüssig waren. Etwas störend fand ich, dass Henning nach 54 Stunden abrupt mit die Geschichte beendet. Über den Ausgang der Geiselnahme wurde nur noch wenig informativ und einseitig berichtet. Und so blieben für mich viele Fragen offen über mögliche Konsequenzen und Folgen dieser schrecklichen Tat und den Verbleibt einzelner Figuren.
Eines hat dieses Buch jedoch geschafft: Mich für dieses Thema zu interessieren und zu sensibilisieren. Die fehlenden Puzzleteilchen, die Peter Henning mir vorenthalten hat, suche ich mir jetzt selbst zusammen…