Rezension

Lebendiger Geschichtsunterricht

Die Aufrechte -

Die Aufrechte
von Claudius Crönert

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Leben im Spagat...

„Die Aufrechte“ von Claudius Crönert war für mich der erste Roman dieses Autors – und von Felicitas (Fee) von Reznicek hatte ich vorher auch noch nie gehört... Aber nun freue ich mich sehr, beide „kennengelernt“ zu haben!

Ich erwähne selten die Gestaltung von Büchern (ich bin nicht so der „Cover-Typ“), aber hier muss ich es erwähnen: erschienen im Gmeiner-Verlag als Hardcover und schon die äußere Aufmachung empfand ich als ungemein ansprechend und edel gestaltet (eine Lesebändchen hätte mein Glück vollkommen gemacht!), ein schwarz-weißes Foto von Fee auf dem Cover, schlicht, aber auf jeden Fall ein echter „Hingucker“!

Im Prolog lernen wir Fee und ihre Gedankenwelt im zerbombten Berlin der Nachkriegszeit kennen. Sie grübelt über das Entnazifizierungsverfahren nach, dass sie angestrebt hat, um als „unbelastet“ eingestuft zu werden. Sie hatte alle 131 Fragen sorgfältig ausgefüllt und für die Zahlung der Gebühren (1.206 Reichsmark) muss sie sich wohl von der Schmetterlingssammlung ihres Vaters trennen, aber wie konnte das auf dem Schwarzmarkt funktionieren?

Das 1. Kapitel beginnt mit dem 30.Januar 1933 und wir nehmen die nächsten 12 Jahre teil an Fees Leben. Aber was hier berichten, um nicht die Spannung zu verderben? Sie erfährt an diesem Abend nicht nur, dass ihre Großmutter mütterlicherseits von den Nationalsozialisten als „Volljüdin“ eingestuft werden wird, sondern auch, dass ihr Bruder Emil bereits seit 1931 Mitglied der NSDAP ist...

Ich denke, diese gegensätzlichen „Geständnisse“ bestimmen Fees Leben: sie arbeitet einerseits aktiv für den Widerstand, wird aber als Journalistin auch Mitglied in der Reichsschrifttumskammer, später sogar selbst Mitglied der NSDAP (aber eigentlich eher ein Versehen, wenn es nicht gerade diese Mitgliedschaft gewesen wäre, hätte ich geschmunzelt), tritt aber einige Jahre später wieder aus (ohne Konsequenzen, ich hatte schon die schlimmsten Befürchtungen). Sie bringt wichtige Informationen ins Ausland, trifft sich konspirativ mit Agenten der „feindlichen“ Mächte, schreibt provokante Leserbriefe, wird gewarnt: „Bedenken Sie, wenn Sie das nächste Mal etwas schreiben, ein KZ ist kein Erholungsort.“ (S. 242) Gleichzeitig verliebt sie sich in Fritz Wiedemann, einen Adjutanten von Adolf Hitler, der allerdings verheiratet ist…

Ich habe verstanden, dass ihr Leben von zwischen 1933 bis 1945 eine ständige Gratwanderung war, quasi ein Spagat zwischen äußerlicher Angepasstheit und Widerstand, zwischen Sorge um ihre betagten (und gefährdeten) Eltern und Fritz, der Liebe ihres Lebens... Sie geht hohe Risiken ein, aber ist immer ihren Überzeugungen treu, sie bleibt „aufrecht“, deshalb finde ich den Titel des Buches auch exzellent gewählt.

Der Schreibstil ist fesselnd, spannend und hat mich teilweise regelrecht in Fees Geschichte „eingesogen“, wobei ich nicht verheimlichen will, dass mir der zweite Teil noch besser gefallen hat. Ich konnte nicht alle Handlungen, Ansichten und Entscheidungen von Fee teilen, fand sie manchmal auch naiv, aber vermutlich liegt es daran, weil ich – im Gegensatz zur „damaligen“ Fee - weiß, wie sich die weitere Entwicklung fortsetzte – während Fee „mittendrin“ lebte.

Man merkt, dass der Autor sorgfältig und umfangreich recherchiert hat, so dass ich aus diesem Buch viele neue Erkenntnisse ziehen konnte. Ein Nachwort rundet das Buch perfekt ab, der letzte Satz lautet: „Ihre Tätigkeit für den deutschen Widerstand ist bislang nicht gewürdigt worden.“ (S. 508). Ich finde, Claudius Crönert hat für diese Würdigung einen äußerst stabilen und ausgezeichneten Grundstein gelegt!