Rezension

Literarisch oder moralisch zu betrachten?

Lebe Sarajevo! - Bill Carter

Lebe Sarajevo!
von Bill Carter

Bewertet mit 3 Sternen

Wer wissen will, wie es war oder wie Krieg sein kann, bzw. ist, der kann diesen Zeitzeugenbericht mit Gewinn lesen. Allerdings ist er bisschen wirr, die Sprache ist gewöhnungsbedürftig, zwischen derb und deftig. Deshalb konnte ich mit der Wertung bei aller Liebe nicht höher gehen.

 „Lebe Sarajevo“, Originaltitel „Fools rush in“, ist ein Zeitzeugenbericht. Bill Carter war monatelang in Sarajevo, das in den 1990ern von serbischen Soldaten eingeschlossen und unter Beschuss gehalten wird. Davon berichtet der Autor. 2009 wird er zum Ehrenbürger „von Sarajevo ernannt für seine selbstlose Hingabe gegenüber den Bewohnern Sarajevos, sowohl während als auch nach dem Krieg.“

„Lebe Sarajevo“ hat biografische Anteile, ist aber keine Biografie. Der Fokus liegt auf dem Serious Road Trip, einer durchgeknallten Gruppe junger harter Kerle, jeder eine andere Art von gescheiterter Existenz, die sich unter der Fühung von Tony und Graeme zusammengetan haben, um mit ihren Trucks Lebensmittel nach Sarajevo zu karren, Lebensmittel, die aus dunklen, nicht näher bezeichneten Kanälen stammen. Mehr als 1200 Tonnen Leben bringen sie in die eingekesselte Stadt.

Bill schließt sich diesen Kerlen an. Er hat sein eigenes Karma und Schicksal. Der Verlust Corinnas, der Liebe seines Lebens, wirft ihn aus der ohnehin nur gerade so gehaltenen, labilen Bahn. Bill befindet sich auf einem persönlichen Trauerverarbeitungstrip, der Sexorgien, ohne Geld durch die Welt gondeln, Sauftouren und Kiffen, einen kosmischen Zusammenführungswahn von Tod und Leben und noch vieles mehr beinhaltet. Bill sucht Erlösung.

Bei dem Road Trip ist er zufällig gelandet. Obwohl Bill ja glaubt, dass ihn Corinna geleitet hat und das auch weiterhin tut.

Zeitzeugenberichte müssen nicht streng strukturiert sein und dürfen auch stilistisch literarische Mängel aufweisen, die sie durch Authentizität ausgleichen. Diese Authentizität ist ohne Zweifel vorhanden. Die deftige Sprache verschleiert wenigstens nicht die Zustände, die ein kriegsgeplagtes, von der Welt vergessenes Territorium und deren Bewohner auszuhalten haben.

Einmal sagt Bill Carter: „Ich wollte nicht als Kriegsjunkie, Beobachter oder ... als (Kriegs)Tourist bezeichnet werden.“ Aber so ist es. Wer von außen kommt und wieder nach draußen geht, ist genau das.

Die Schwächen des Buches liegen u.a. in seiner Perspektive: Es ist zu persönlich. Die Informationen sind zu subjektiv und Bill Carter und seine Befindlichkeiten nehmen einen zu großen Raum ein.

Andererseits hat Bill Carter etwas erreicht. Es ist ihm gelungen, die Gruppe U2 zum Engagement zu bewegen. Während vieler Konzerte in der Zeit des Krieges, hat die Band Live-Schaltungen aus Sarajevo übertragen und so die Welt aufmerksam darauf gemacht, was die Menschen fühlen, die in einem von Scharfschützen umzingelten Gebiet leben, das gnadenlos beschossen wird, wo Hunger und Schmerz alltäglich ist und der Tod um die Ecke wohnt.

Die Leistung Bill Caters, der u.a. den Dokufilm Miss Sarajevo drehte und mit ihm monetäre Unterstützung für das kriegsversehrte Land erwirkte, kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Aber dafür wurde er außerliterarisch gewürdigt.

Literarisch ist „Lebe Sarajevo“ nicht herausragend. Nicht einmal gut. Es ist jedoch ein Zeugnis der Menschlichkeit.

Fazit: Wichtiger Zeitzeugenbericht mit sehr persönlichem Zungenschlag.

Kategorie: Sachbuch
Verlag: Sofaverlag in Kooperation mit Heinverlag, 2015