Rezension

Literaturpreis und Retourkutsche.

Die Gabe - Naomi Alderman

Die Gabe
von Naomi Alderman

Bewertet mit 5 Sternen

Sieger des Bailey Women's Prize for Fiction, 2017. Jetzt auf deutsch herausgekommen. Ich habe das Buch im Original gelesen und es unter dem dortigen Titel "The Power" auch besprochen. Was aber nicht alle Leser mitkriegen. Deshalb noch einmal die Rezension auch zum deutschen Titel. Warum das Buch nicht den Titel "Die Macht" oder "Die Kraft" oder "Die Stärke" haben konnte, ist mir wieder einmal nicht eingängig.

Handlung: Neil Adam Armon betreibt geschichtliche Recherchen. Über die Ergebnisse seiner Untersuchungen hat er einen Roman geschrieben, weil er zu Recht annimmt, dass ein Sachbuch kaum Leser findet. Er führt Beweise an, Artefakte aus Ausgrabungen, die über 5000 Jahre alt sind und stellt seine Thesen, die das Potential haben, die Welt auf den Kopf zu stellen, und seine Schlußfolgerungen Naomi Alderman zur Begutachtung und Diskussion zur Verfügung: Sollte es in der Vergangenheit tatsächlich einmal so etwas wie ein weltweites Patriarchat gegeben haben? Naturgemäß ist Naomi skeptisch!

Mit dieser raffinierten Rahmenhandlung steigt die Autorin in den eigentlichen Roman ein. Ihre Thematik ist der Geschlechterkampf, die Machtfrage schlechthin. Korrumpiert Macht jeden, gleich welchen Geschlechts und sind die Geschlechterrollen anerzogen oder naturgegeben? Nature versus Nurture. Eine alte Frage, ein altes Thema, jedoch im neuen Gewand der Dystopie. Erfrischend einerseits und düster andererseits.

Mit sechs Hauptprotagonisten spinnt Naomi Alderman den Bogen über die gesamte „neue Weltgeschichte“. Allie, ist Eva, die Mutter von allem, Roxy, die Starke, Tunde, der Reporter, Darrell, der Judas, Margot, die gewiefte Politikerin, Jocyelyn, die Gescheiterte, sie alle tragen zur Erhellung des Geschehens bei. Die Figuren sind wunderbar erzählt. Jede hat eine berührende Geschichte. Religiöse Motive stellen alle Theologie in Frage. Ich empfinde aber gerade diese Schiene des Romans als billig.

Insgesamt ist der Ton des Romans düster. Der Kampf der Geschlechter und die diversen Elemente dieses Kampfes sind unappetitlich: Blut und Tränen, Gewalt. Allianzen und Verrat. Intrigen. Auswüchse jeder Art. All dies hat Naomi Alderman in relativ leicht zu verdauender Weise an die Leserin gebracht. Insoweit hat mir der Roman sehr gut gefallen. Er ist mit einer bedrückenden Grundstimmung versehen, dennoch unterhaltend mit vielen spannenden und phantasievollen Momenten ausgerüstet.

Was mir ein bisschen fehlte, waren Details über die Veränderung der Welt. Vieles war einfach nur eine Retourkutsche. Und ich frage mich, ob das Fahren von Retourkutschen hilft. Männliche Leser wird das Buch nicht viele haben und weibliche Leserinnen wissen sowie so Bescheid.

Dieser Roman ist der Sieger des Bailey Women’s Prize for Fiction, 2017! Verdient? Ehrlich, ich weiß es nicht. Die besonderen Protagonisten mit außergewöhnlichen Gaben machen schon richtig Spaß.

Doch wie steht es mit der literarischen Brillianz? Ist einfach alles umzukehren, literarisch wertvoll? Der Schluss, als Naomi dem vermeintlichen Autoren empfiehlt, unter einem weiblichen Pseudonym zu veröffentlichen, damit er glaubwürdiger wirkt und Leserschaft findet, ist wieder ein netter Gag. Sprachlich ist der Roman gut aufgestellt, da gibt es nichts zu kritisieren.

Die Rahmenhandlung ist eine tolle Idee, der Grundgedanke des Geschlechterkampfes neu in Szene gesetzt und mit besonderen Protagonisten ein Lesespaß. Schließlich meine ich, dass der Roman trotz gewisser Bedenken meinerseits, wegen seiner raffinierten Gesamtkomposition seine fünf Sterne wert ist.

Fazit: Sieger des Bailey Women's Prize for Fiction, 2017. Durchaus lesenswert. Eine echte Dystopie mit viel Düsterkeit und einer Prise Ironie.

Kategorie: Dystopie
Verlag: Penguin, 2017

Kommentare

sphere kommentierte am 10. März 2018 um 23:03

Nur damit du weißt, dass deine Rezis auch gelesen werden :)

Rezi ist gut! Ob das Buch irgendwann bei mir landet? Eher nein...

wandagreen kommentierte am 11. März 2018 um 00:19

Man muss nicht alles lesen.