Rezension

Musik verbindet alle Zeiten

Wie ein fernes Lied
von Micaela Jary

Bewertet mit 5 Sternen

~~Hamburg 1939: Die 17-jährige Marga steht am Bahnhof, um den Nachbarsjungen Michael Friedländer zu verabschieden. Mit ihm verbindet sie mehr als nur die Liebe zur Swing-Musik, die von den Nationalsozialisten verpönt und bald unter Strafe gestellt wurde. Schon lange ist Marga heimlich in Michael verliebt. Michael geht mit dem Swing-Orchester Bobby Schwan auf Tournee in die Schweiz, für ihn als Halbjude die Möglichkeit, vor den Nazis zu fliehen und gleichzeitig weiterhin mit seiner Klarinette Musik machen zu können. Ob und wann sich die beiden wiedersehen werden, weiß keiner von ihnen. Marga vertreibt sich die Wartezeit auf ihre große Liebe mit ihrem Musikstudium. Nebenbei geht sie als Sängerin mit Harry Alsen und seinem Tanzorchester auf Reisen und kommt so nach Dänemark und Frankreich, um zur Unterhaltung der Truppen beizutragen. In Paris sieht sie Michael in einem geheimen Swingclub auf der Bühne stehen, doch bevor sie ihn erreichen kann, ist er wieder verschwunden. Wird Marga ihn wiedersehen und endlich mit ihm ihr Glück finden?
Paris 1999: Andrea Cramer studiert Musik und bestreitet ihren Lebensunterhalt als Pianistin in Hotelfoyers und mit Konzerten einer Frauenband. Eines Tages, während sie wieder im Hotel die Gäste unterhält, fällt Andrea ein alter Mann auf, der sie unentwegt beobachtet und dabei ihrer Musik lauscht. Als sie ihn nach ihrem Gastspiel ansprechen möchte, ist er verschwunden, doch einige Tage später bei einem Konzert mit ihrer Band in einem angesagten Pariser Restaurant sieht sie ihn erneut. Diesmal soll er ihr nicht entwischen, aber bevor sie mit ihm reden kann, kommt es zu einem Unglück. Dadurch lernt Andrea den deutschen Journalisten Frank Renner kennen, der für eine Reportage über den Swing nach Paris gekommen ist. Frank ebenso neugierig auf Andrea wie auf deren Geschichte über den alten Mann, der den Namen Jules Delaborde trägt. Was wird Andrea mit Franks Unterstützung herausfinden?
Micaela Jary hat mit ihrem neuen Buch „Wie ein fernes Lied“ einen wunderschönen, teils historischen Roman geschrieben, der beim Lesen eine regelrechte Sogwirkung entwickelt. Der Schreibstil ist herrlich flüssig, einfühlsam und emotional, hier bleiben keine Wünsche offen. Der Spannungsbogen baut sich schön auf und wird durch die zwei zeitlich verschiedenen Handlungsebenen regelrecht unterstützt, die sich abschnittsweise abwechseln. Erst zum Finale wird dem Leser die Auflösung geboten, solange kann man miträtseln, wie die einzelnen Beziehungen und Verwicklungen wohl miteinander verbunden sind. Auch der historische Hintergrund über die Swing-Bewegung in Hamburg und deren Musik hat die Autorin sehr gründlich recherchiert, wobei sie Informationen aus erster Hand beisteuern konnte, stammt sie doch selbst aus einer Musikerfamilie, die der Swing-Musik ebenfalls zugetan war.
Die Charaktere mit ihren Ecken und Kanten sind wunderbar skizziert und hauchen dem Roman Leben ein. Man kann sich ihrem besonderen Charme gar nicht entziehen. Marga ist einem behüteten Umfeld aufgewachsen, wo Politik keine Rolle spielte. Sie hat ein liebevolles Wesen, ist aber oftmals zu naiv, zu laut, zu egoistisch, sie macht sich bei ihren Handlungen keine Gedanken darüber, ob sie damit andere in Gefahr bringt. Harry Alsen ist ein hilfsbereiter und intelligenter, aber auch geheimnisvoller Mann, der für die Musik lebt und sein Herz verliert. Andrea Cramer lebt eher zurückgezogen, ist eher eine misstrauische Person, die sich bisher allein durchs Leben schlagen musste. Doch sie hat auch Träume und Sehnsüchte, die sie nur allzu gerne hinter einer Fassade versteckt. Frank Renner ist ein sympathischer und neugieriger Mann, der gern hinter die Geschichten sieht, um noch mehr zu finden.
Mit „Wie ein fernes Lied“ ist Micaela Jary ein sehr schöner gefühlvoller Roman mit interessantem historischem Hintergrund gelungen. Der Leser ist von der ersten Seite an mitten im Geschehen, dabei rätselt man, fiebert mit, hofft und jubelt mit den Protagonisten, als wären es liebe alte Freunde, die man nicht missen möchte. Absolute Leseempfehlung für dieses regelrechte Kunstwerk! Chapeau, sehr gut gemacht!!!