Rezension

Swing und Liebe im 2. Weltkrieg

Wie ein fernes Lied
von Micaela Jary

Bewertet mit 5 Sternen

Marga ist verzweifelt, muss sie doch hilflos zusehen, wie ihre Jugendliebe Michael gemeinsam mit dem Orchester Bobby Schwan und den Original Bobbys in Richtung Schweiz fährt. Sie ahnt, dass Michael nicht zurückkommen wird, denn er ist Halbjude und es ist das Jahr 1939. Er ist Klarinettist und kann mühelos mit der Band Deutschland verlassen, bevor es zu spät sein wird. 
Sie ist ihm nicht nur mit dem Herzen verbunden, sondern sie verbindet auch die Liebe zur Musik, ganz besonders der Swing hat es ihnen angetan.
Marga selbst ist Sängerin und will auch Musik studieren.
Als sie eines Tages keine Nachrichten von Michael mehr erreichen, versucht sie ihn zu finden, aber wird es ihr gelingen?

Andrea, eine deutsche, in Paris lebende, Musikstudentin, versucht sich ihren Lebensunterhalt mittels Arrangements in Hotels durch Klavierspielen zu verdienen. Dabei fällt ihr auf, dass in einem Hotel, wo sie regelmäßig spielt, immer ein älterer Herr sitzt und scheinbar nur wegen ihr zu kommen scheint. Es gelingt ihr nicht, ihn anzusprechen, er verschwindet immer recht schnell. Auch fühlt sie sich verfolgt. Als sie eines Tages den älteren Herrn ansprechen will, flüchtet er vor ihr und wird in einen Unfall verwickelt. Was bezweckt er und warum will er nicht mit ihr reden?...

Wieder einmal legt die Autorin Micaela Jary einen Roman vor, der in zwei Zeitebenen spielt.
Der erste Zeitstrang spielt in den Jahren 1939 - 1945, der zweite in der Zeitspanne von 1999 - 2000.

Mit der Abfahrt von Michael Friedländer beginnt das Buch. Juden sind in Deutschland nicht mehr willkommen und sehen einer schwarzen Zukunft entgegen. Michael ist Halbjude, sein Vater Jude und schon im Ausland, so dass er die Gelegenheit beim Schopfe nimmt und mit einem Orchester aus Deutschland reist. Er ist Klarinettist und reist mit dem Orchester in die Schweiz, wo er bleiben will. 
Die Verbindung zu Marga, der Frau, der er beim Abschied noch sagte, dass er sie liebt und immer lieben wird, bricht irgendwann ab. Als Marga durch Zufall erfährt, dass er in Paris weilt, will sie unbedingt zu ihm. Aber es ist nicht die Zeit, ihm hinterher zu reisen. 
Sie schafft es, in einer Band, die Swing und Jazz spielt, unterzukommen und begibt sich mit ihnen auf Reisen, zur Truppenbetreuung. Leider nicht nach Paris, sondern nach Dänemark. Sie ist Sängerin und sie haben großen Erfolg.
Als sich später die Gelegenheit bietet, mit der Band nach Paris zu gehen, geht auch sie mit, in der Hoffnung, doch irgenwie ihren Michael zu finden, der sich inzwischen Jules Delaborde nennt. Ihr wird sehr schnell klar, dass Jules im Verborgenen lebt, man vorsichtig sein muss, was man sagt und wem. 
Bei ihrer Suche nach Michael erfährt sie immer Hilfe von Harald Alsen, dem Bandleiter. Auf ihn kann sie sich fest verlassen, er wird ein Freund, der immer für sie da ist.

1999. Andrea lernt durch Zufall Frank Renner, einen Journalisten, kennen, der eine Reportage über den Swing machen will. Frank ist Zeuge, wie Andrea hinter dem alten Mann hinterherstürzt, der sich gerade noch mit ihm unterhalten, aber urplötzlich aufsprang und verschwinden wollte.
Die beiden lernen sich kennen und versuchen hinter das Rätsel zu kommen, welchen Zusammenhang es zwischen Andrea und dem ihr unbekannten alten Mann zu tun hat. Sie erfahren, dass es sich um Jules Delaborde handelt, der sich nunmehr im Krankenhaus aufhält. Sein Sohn Maurice versucht jeden Kontakt zwischen Andrea und Jules zu verhindern, was ihm auch gut gelingt, denn er ist ein bekannter Politiker.
Als Andrea dann noch von ihrer Mutter etwas über ihre Herkunft erfährt, ist sie erst recht motiviert, dem ganzen auf den Grund zu gehen.
Andrea und Frank vermuten den Ursprung von allem in der Besetzungszeit der Nazis in Paris und gehen die Suche gemeinsam an.

Micaela Jary hat es wieder einmal geschafft, mich mit ihrem Roman dermaßen zu fesseln, dass alles andere liegen blieb.
Sie entführt den Leser ins Jahr 1939, Hitler ist an der Macht und Juden werden verfolgt. Swing und Jazz dürfen zwar noch gespielt werden, aber auch das ist bald Geschichte, denn bald kann man die Musik nur noch im Geheimen hören. Es gehört nicht zum deutschen Volksgut und ist verboten.
Nur nebenbei erlebt man die Diktatur mit, in Deutschland wie auch in Frankreich oder Dänemark. Das Hauptaugenmerk liegt nicht darin, den 2. Weltkrieg als Roman zu Papier zu bringen. Die Autorin hat den Jazz und Swing, die Liebe zu genau dieser Musikrichtung als Thema genommen und zeigt, wie damit während dieser Zeit damit umgegangen wurde.

Die Autorin selbst kommt aus einem Haus, in dem viel Musik gemacht wurde. Ihr Vater, der Komponist Michael Jary, betrieb selbst während der Kriegszeiten eine Band, die Swingmusik machte. Von daher konnte sie auf vorhandenes Wissen und Erlebnisse zurückgreifen, da sie auch mit einigen Akteuren selbst bekannt war.
Sie hat unglaubliche Recherchearbeit geleistet, die man dem Buch auch anmerkt. Bekannte Orte, Plätze und Personen sind übernommen worden, alles wirkt echt und nicht aufgesetzt.

Ihr gelingt es mühelos, den Leser weiterzutreiben, indem sie oft einen Cliffhanger zum Ende eines Kapitels einsetzt und anschließend in den jeweils anderen Zeitstrang übergeht. Natürlich liest man dann weiter, schließlich möchte man ja wissen, wie es weitergeht.

Wie bei vielen anderen Büchern machte ich mir wieder meine Gedanken, wie die Zusammenhänge denn sein könnten. Wo anfangs dichter Nebel war, weil alles offen war, lichtete es sich nach und nach. Natürlich hat sie sich die völlige Auflösung bis zum Schluss aufgehoben und überraschte mich dann doch, obwohl ich das ein oder andere schon ahnte.

Ich habe schon einige Bücher von Micaela Jary gelesen und bin immer wieder überrascht, welche Themen sie anfasst. Obwohl mich noch keines enttäuscht hat, muss ich sagen, dass es das bisher beste von ihr ist. Es hat mich völlig überzeugt.
Sehr guter und angenehmer Schreibstil, ausgesprochen interessante Protagonisten, die man nicht alle unbedingt mögen muss, obwohl man sich bei dem ein oder anderen nicht verschließen kann und eine wunderbare Geschichte. Sie führte mich ein klein wenig in die Welt des Swing ein, denn das ein oder andere Lied kennt man ja doch und kann es zumindest mitsummen. Viele der angesprochenen Lieder im Roman sind so bekannt, dass man förmlich die Musik im Ohr hat, wenn man nur den Titel liest.

Für dieses Buch spreche ich eine klar Kauf- und Leseempfehlung aus.