Rezension

Nebulös auf jeder Ebene.

Arctic Mirage -

Arctic Mirage
von Terhi Kokkonen

Bewertet mit 2 Sternen

Kurzmeinung: Bis zu den letzten Seiten habe ich gehofft, die Autorin könnte mich überzeugen

Ein nicht gut harmonierendes Ehepaar hat auf dem Weg in den Winterurlaub einen Autounfall. Mann und Frau sind dem Tod nur knapp entgangen, wie ihnen bewusst ist. Leicht traumatisiert findet das Ehepaar nach einer kurzen Behandlung in einem Krankenhaus Zuflucht in einem sündhaft teuren Ressort, dem „Arctic Mirage“, in Lappland gelegen. Trotz des stolzen Preises von 700 Euro/Nacht ist der Service miserabel. Als einziges Hotel in einer Traumlandschaft kann sich das Hotel Überteuerung und miesen Service leisten. Wie ärgerlich für das verwöhnte Ehepaar. Und auch sonst läuft der Aufenthalt im Arctic Mirage nicht so ab, wie sich das Paar den Urlaub vorstellte. Der Wunsch nach gemeinsamen Erlebens eines wunderschönen Naturereignisses, dem Anschauen des Polarlichts oder auf Skiausflüge im weißen Wunderland erweist sich als eine trügerische Wunschvorstellung, eben als eine Mirage.

Der Kommentar: 
Als Debüt ist Arctic Mirage insofern bemerkenswert, als man der Autorin ein sicheres Sprachgefühl attestieren kann sowie ein Gespür für die Transparenz des Realen, das heißt in „Arctic Mirage“ zerfließt Reales in, sagen wir mal so, in Möglichkeiten oder wiederum anders gesagt, sowohl Handlung wie auch das agierende Personal des Romans befinden sich im permanenten Zustand der Auflösung.
So erweist sich der Hotelarzt zum Beispiel als ein alter Knabe, der aus medizinischen Handgriffen einen Lustgewinn erzielt –völlig unglaubwürdig - , eine Hotelangestellte ist auf Anweisung ihrer Chefin unfreundlich zu den Gästen, die Bewohner des kleinen Ortes sind ungastlich und ichbezogen, die Gäste des Hotels, unsere Protagonisten, Karo und Risto, führen eine ungesunde Beziehung.
Arctic Mirage gibt sich alle Mühe, eine Art Fata Morgana zu erschaffen; eine unheimliche Atmosphäre, in der nichts so ist, wie es scheint und alles wie eine Seifenblase zerplatzt. Was wie eine Seifenblase zerplatzt, insofern funktioniert es unabsichtlich, ist die Handlung. Der Plot überzeugt mich in keinster Weise. Die Alltäglichkeiten, die sich in Absonderlichkeiten auflösen sollten, bleiben alltäglich und laufen dann ins Leere, ins Nebulöse. Die Handlungen der Protagonisten wirken gleichzeitig unauthentisch. Geheimnisvolle Andeutungen der Autorin führen nicht in einen Albtraum, sondern ins handlungsfreie Nichts.
Gegen Ende verschwimmen Gegenwart und Vergangheitsbezug in einem einzigen Kuddelmuddel, was wohl den verwirrten Geisteszustand der Protagonistin erhellen soll, aber nicht funktionieren kann, weil die Autorin auch diese Verwirrtheit an anderer Stelle wiederum in Frage stellt. Sicher, das kann man machen und diese Unzuverlässigkeit der erzählenden Person ist beabsichtigt; wenn man aber den Eindruck hat, die Autorin demontiere ihr Personal just for fun und man könne auch der Autorin nicht trauen, dann hört bei mir der Lese-Spaß auf.
Das Prinzip „show, don’tell" ist mehrmals durchbrochen, was nicht ins Gewicht fiele, wenn der Rest stimmt. Eigentlich sind die Hintergründe der Nebenfiguren fantasievoll erfunden, aber die Autorin macht zu wenig daraus, wenn sie sie nur durch eine kurze Rückerzählung einfließen lässt und danach sinnfrei in der Landschaft herumstehen lässt.
Was ist gut? Gut ist, wie die Autorin sprachlich mit den temporären Bezügen spielt, ja kunstfertig sogar. Gut ist, wie sie Fäden zwischen den einzelnen Beteiligten knüpft. Allerdings lässt sie das Setting, diese wunderschöne, verwunschene Landschaft im Norden Europas weitgehend sprachlich und inhaltlich ungenutzt liegen. Wenn ich daran denke, was Thomas Hettche in seinem Roman „Sinkende Sterne“ aus dem Setting der schweizerischen Voralpen gemacht hat, dann kann ich nur sagen, die Autorin hat noch viel zu lernen.
Spannung entsteht einzig und allein dadurch, dass die Autorin mit dem ersten Satz in ihrem Buch bereits enthüllt, wohin die Disharmonie zwischen ihnen das urlaubende Ehepaaar treiben wird. Man wartet also. Wann passiert „es“. Und warum. Aber auch dazu kommt keine Unterfütterung. Das ist insgesamt zu wenig. 

Fazit: Schreiben kann die Autorin, das kann man nicht abstreiten und mit ihrer Auflösetechnik wagt sie auch etwas, doch es ist gerade der Plot, der mich nicht überzeugt. Es ist ein schmales Büchlein, es hätte insgesamt für mich „ein bisschen mehr“ sein dürfen, dann hätte es mehr Punkte gegeben. Einen weiteren Roman der Autorin würde ich dennoch in Erwägung ziehen.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Helsingin-Sanomat-Literaturpreis, 2020