Nichts mehr außer zwei linken Stiefeln
Bewertet mit 4 Sternen
Vorblatt: „Dies ist eine für sich allein stehende Fortsetzung des Romans Die italienischen Schuhe, der 2006 publiziert wurde. Diese Geschichte spielt acht Jahre später.“
Auch wenn das Buch als eigenständiger Titel propagiert wird, empfehle ich, „Die italienischen Schuhe“ vorher zu lesen - immer wieder wird auf Ereignisse und Beziehungen aus dem ersten Band verwiesen -, weniger, weil man etwas nicht verstehen würde, sondern weil man ganz anders in die Geschichte eintauchen kann, wenn man deren Voraussetzungen kennt.
Obwohl „Die italienischen Schuhe“ ein abgeschlossenes Buch ist und keine weitere Fortsetzung gebraucht hätte, wird dennoch im Verlauf der Lektüre des 2. Bandes deutlich, warum Mankell den Stoff nochmals bearbeitet hat.
Fredrik Welin ist beinahe 70, er lebt immer noch allein auf seiner Schäre mit den wenigen Verbindungen nach außen und nur sporadischen Kontakten zu seiner Tochter Louise, von deren Leben er nach wie vor fast nichts weiß.
Das ändert sich, als sein Haus, das er von den Großeltern geerbt hat, bis auf die Grundmauern niederbrennt zusammen mit seinem ganzen Hab und Gut, den Aufzeichnungen, den Fotos, den Erinnerungen. Fredrik muss sich neu orientieren, und der Außenwelt stellen. Dazu gehört auch, dass er nicht nur seine Insel, sondern auch sein Land verlassen muss, um seine Tochter nach ihrer Verhaftung zu unterstützen.
Das Buch hat ein großes Thema: Alt werden, nur noch eine kleine Spanne Leben vor sich haben und dann den Tod. Dadurch und durch die Person des Protagonisten, der zurückgezogen, distanziert und ohne Freunde lebt, bekommt das Buch einen melancholisch-düsteren Anstrich. Dennoch hat es auch seine leichten, heiteren Seiten, und in manchen Phasen betrachtet Fredrik sich selbst mit ironischer Distanz.
Das Buch ist definitiv nicht für jüngere Leser geschrieben, für die die Malaisen des Alters noch in weiter Ferne sind und die sie sich nicht vorstellen wollen.
(Was Welins Geburtsjahr angeht, war Mankell sich anscheinend mit sich selbst uneinig. Oder er hatte keine Zeit zur Korrektur mehr. S. 222: „Ich selbst war nach dem Krieg geboren …“, S. 381: „Mein eigenes Geburtsdatum ist 1944, ehe der Krieg zu Ende war.“)
Es scheint beinahe, als wäre Mankell zuviel gewesen, einen großen Spannungsbogen aufzubauen. (Dass er es kann, hat er oft genug bewiesen.) Immer, wenn ein Motiv eingeführt wird, das für Spannung sorgen könnte, z.B. die Suche nach dem Brandstifter, Louises Leben, der gestohlene Oldtimer, verläuft sie sich in Belanglosigkeit und vor sich hin dümpelnder Handlung.
Denn eines hat dieses Buch sicher nicht: Eine äußere Handlung. Es passiert nicht mehr als das, was der Klappentext schon verrät.
Man könnte sagen: Mankell hat Teilen seines Essay-Sammelbandes „Treibsand“ einen Protagonisten verschafft und einen Roman daraus gemacht.
Warum ich das Buch dennoch mit Freude und innerer Beteiligung gelesen habe?
Weil es Mankell wie in all seinen Romanen gelingt, den Leser auf einen Protagonisten einzuschwören, mit seinen Augen zu sehen und seinen Emotionen nachzuspüren. Auch wenn man sie nicht in jedem Augenblick versteht.
Weil eines klar wird, ohne dass es ausdrücklich gesagt werden muss: Am Ende des Lebens sind nicht alle Fragen geklärt. Vieles wird offen bleiben, und man stirbt ohne dass alle Antworten gefunden wurden.
Weil Mankell über sich selbst schreibt ohne sich zu entblößen: „Ich fürchte, ich empfinde einen irrsinnigen Neid allen Menschen gegenüber, die weiterleben, wenn ich tot bin.“ (S. 164)