Rezension

Nur ein Unfall?

Erntedank in Vertikow - Frank Friedrichs

Erntedank in Vertikow
von Frank Friedrichs

Bewertet mit 5 Sternen

„...Wenn wir jung sind, denken wir gern, wir bräuchten niemanden, wir könnten unser Leben allein gestalten...Wir sind alle von anderen abhängig, Teil des großen Ganzen...“

 

Vetikow ist ein kleiner Ort in Mecklenburg. Dort hat Peer einige Jahre als Organist gearbeitet. Nun wird er nie wieder Orgel spielen können. Nach einem Motorradunfall sitzt er im Rollstuhl. In seinen neuem Leben ist er noch nicht angekommen. Ihm fehlt eine Aufgabe.Während er unterwegs ist, beobachtet er, wie Frau Kuhn von einem Pick-up überfahren wird. Die Polizei geht von einem Unfall aus. Der Fahrer hat die alte Dame im Dunkeln nicht gesehen. Doch Peers Beobachtungen sprechen eine andere Sprache. Er glaubt an Mord.

Der Autor hat einen spannenden Krimi geschrieben. Die Geschichte hat mich schnell in ihren Bann gezogen. Das lag nicht nur an dem außergewöhnlichen Protagonist, sondern auch an dem gut beschriebenen örtlichen Gegebenheiten und dem angenehmen Schriftstil.

Peer versucht, den Unfall selbst aufzuklären. Einerseits hat er damit wieder eine Aufgabe, andererseits hat seine Frau Angst, dass er sich in Gefahr begibt. Hinzu kommt, dass beide das Zusammenleben unter den neuen Bedingungen erst lernen müssen. Auch die Dorfgemeinschaft steht seinen Vorhaben gespalten gegenüber. Während einige ihn ermuntern, warnen andere ihn, die Finger davon zu lassen. Mancher redet sogar heute so, und morgen anders.Da Peer einst aus dem Westen gekommen ist, hat er sowieso mit Vorurteilen zu kämpfen.

Der Schriftstil des Buches lässt sich gut lesen. Peers Unfall liegt erst kurze Zeit zurück. Der Autor versteht es ausgezeichnet, die Befindlichkeiten seinen Protagonisten wiederzugeben. Er kann noch nicht damit leben, auf Hilfe angewiesen zu sein und stößt deshalb seine Mitmenschen gern vor den Kopf. Vieles, was bisher selbstverständlich war, funktioniert nicht mehr. An einigen Stellen macht der Autor klar, was es bedeutet, auf Barrierefreiheit angewiesen zu sein. Ich empfand es als wohltuend, dass sich nicht nur Geschäftsleute bemüht haben, Hindernisse abzubauen. Eine große Hilfe ist ihm Peggy, die Pfarrfrau. Sie unterstützt seine Ermittlungen und sie redet Klartext mit ihm. Dazu gehört, dass sie ihm aufzeigt, dass er die Schuld am Unfall niemand anders geben kann, denn all das, was zuvor geschehen ist, waren seine persönlichen Entscheidungen. Gleichzeitig aber macht sie ihm Mut, sein neues Leben anzunehmen und seine Fähigkeiten auszutesten. Obiges Zitat stammt von ihr. In dem Zusammenhang belegt sie an Beispielen, dass jeder Mensch mehr oder weniger auf Hilfe angewiesen ist. Diese Dialoge gehören für mich zu den sprachlichen und inhaltlichen Höhepunkten des Buches.

Als Fahrer des Pick-up gibt es bald eine Reihe an Verdächtigen. Doch wer hatte etwas gegen die alte Frau? Die Motivlage ändert sich, als Akten aus Frau Kuhns Vergangenheit auftauchen. Plötzlich ergeben sich völlig neue Motive. Schwierig werden Peers Ermittlungen nicht nur durch seine Behinderung. Hinzu kommt, dass sich manch einer so benimmt, als hätte er auch eine Leiche im Keller. Das erhöht gekonnt den Spannungsbogen.

Das Cover mit dem Blutfleck auf der Straße passt zum Inhalt.

Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Geschickt wurden Gegenwart und Vergangenheit zu einer fesselnden Handlung verknüpft. Gleichzeitig durfte ich miterleben, wie Peer trotz emotionalen auf und Ab seinen neuen Platz in der Gemeinschaft und wieder Lebensmut gefunden hat.