Rezension

Ob Weib, ob Mann, ein Schelm, wer dies erraten kann!

Die militante Madonna -

Die militante Madonna
von Irene Dische

Bewertet mit 5 Sternen

Frau Dische befasst sich in ihrem neuesten Roman mit der Figur des Chevalier d`Éon de Beaumont. Sie wurde in Frankreich 1728 geboren und verstarb 1810 in London. Er/Sie hatte ein bewegtes leben als Diplomat, Soldat, Freimaurer, Schriftsteller und Degenfechter. Sie trat in Frauenkleidern auf, wurde sogar am Hofe König Louis XVI dazu genötigt und entfachte in London einen Wettstreit um die Geschlechtszugehörigkeit mit hohen Einsätzen.
Ob es sich hier um den ersten schriftlich fixierten Transvestiten der Geschichte handelt, spielt in der Schilderung der Ereignisse dieser Zeit eine eher untergeordnete Rolle, denn Beaumont vereinnahmt den Leser gleich mit einer äußerst klugen und sprachwitzigen Gewissheit über seine Lebenszeit hinaus bis in unsere Gegenwart, wo Geschlechterrollen und Erscheinungsbilder immer noch eine wirkmächtige Bedeutung haben. Er wandelt quasi als Geist durch die Epochen und appeliert mit seinen Portraits an die Empathiefähigkeit zum anderen Geschlecht.
Diese Begabung hat er in seinem eigenen Leben bewiesen, indem er die Kleider und Berufe wechselte, Freundschaften und Bündnisse schloss, aber sich nur von einer einzigen großen Liebe in die Karten schauen ließ. Diese wurde ihm dann auch fast zum Verhängnis, weil Verleumdung, Intrige und Lobbyarbeit sowohl im höfischen Versailles, als auch in London zum Alltag gehörten. Es war aber auch ein gefährliche Zeit, die auf die französiche Revolution zusteuerte und Wellen der Erneuerungen bis ins ferne Amerika mit sich brachte. So tauchen im Dunstkreis des sagenumwobenen Chevaliers so illustre Namen wie Voltaire und Benjamin Franklin auf und vervollständigen das geschichtliche Weltbild des 18. Jahrhunderts.
Wer nun eine trockene Berichterstattung mit höfischen Gepflogenheiten und männlich dominierter Politik erwartet, sollte sich unbedingt Irene Disches Sicht der Dinge zu Gemüte führen und selbst entdecken, wie überaus trickreich Beaumont die Zwänge der Gesellschaft durchbrach und sich so eine geheimnisvolle Aura schuf, die die Autorin noch einmal zu einem äußerst vergnüglichen Leseerlebnis aufleben ließ, mit viel Mehrwert für die Genderdebatte im Lichte der Vergangenheit.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 17. Oktober 2021 um 14:10

Toll. Gefällt mir sehr!

Klar, man kann sicher sagen, dass auch andere Figuren drumrum die Tinte von Irenes Feder verdient hätten, aber sie hat sich nun mal den Chevalier ausgesucht. Wir wurden bereichert. Sehe ich genau so.