Rezension

Positionspapier eines Lutheraners

Luther - Lehrmeister des Widerstands - Uwe Siemon-Netto

Luther - Lehrmeister des Widerstands
von Uwe Siemon-Netto

Bewertet mit 5 Sternen

Über Dr. Martin Luther kann ein gläubiger Protestant nicht genug erfahren. Doch Vorsicht: Uwe Siemon-Netto behandelt nur einen kleinen, sehr speziellen Ausschnitt in seinem Büchlein.

In einer Zeit, in der die Evangelische Landeskirche ihre vormals bibeltreue Grundposition zugunsten des Zeitgeists aufgeweicht hat, so dass allerhöchstens, wenn überhaupt, ein Abklatsch christlicher Ethik übrigbleibt, jedoch die Christologie gekreuzigt ist, bearbeitete Uwe Siemon-Netto seine seinerzeitige englischsprachige Doktorarbeit in Theologie für eine nunmehr auch dem interessierten Laien zugänglichen Fassung.

Dabei übt er im Nachwort als Anhang II, dem Essay „Lehrmeister wider das vergötzte Ich,“ heftige Kritik an der deutschen, gottlosen Neuzeit und dem Zeitgeist, der das Abendland von seinem christlichen Kern mehr und mehr entfernt. Der Vorwurf, dass die Leitungskremien der Evangelischen Landeskirche in weiten Teilen ihrer Aufgabe, dem entgegenzuwirken, nicht nachkommen, ist leider nur allzu berechtigt.

Zwei praktische Ziele hat der Autor zunächst: Zum einen weist er nach, dass es ernstzunehmenden deutschen Widerstand seitens des deutschen Militärs zur Zeit des Nationalsozialismus gegeben hat und dieser auf dem Nährboden von Dr. Marin Luthers Zwei-Reiche-Lehre gewachsen ist, im engeren Sinne also ein christlicher Widerstand war. Zum anderen will er Carl Goerdeler, zuerst zurückgetretener, dann von den Nazis hingerichteter Leipziger Oberbürgermeister zur Zeit des Nationalsozialismus, rehabilitieren. Warum beides notwendig erscheint, ergibt sich aus der Lektüre.

Christliche Positionen zu klären und zu stärken, ist heute notwendiger als je zuvor. Insoweit ist die Arbeit von Uwe Siemon-Netto ein Gewinn. Mancherlei Argumentationslinie mag hilfreich sein, vor allem im theologischen Disput, aber auch, um, wie im besonderen Lutherjahr 2017 (500jähriges Jubiläum der Reformation) zu erwarten sei, erneuten Behauptungen entgegenzutreten, Luthers Lehre hätte das deutsche Volk zu verweichlichten, obrigkeitshörigen Jasagern gemacht. Das Gegenteil ist der Fall.

Es wird meines Erachtens vom Autor bereits zu viel Vorwissen vorausgesetzt und das Theologische zu wenig ausführlich erklärt. Die Zwei-Reiche-Lehre Luthers wird viel zu knapp behandelt. Den historischen Ausführungen zum Zweiten Weltkrieg und zum Nationalsozialismus sowie den Gegenheiten der untergegangenen DDR dagegen, kann man relativ leicht folgen.

Die wenigen theologischen Erklärungen, die der Autor gibt, sind allerdings nachvollziehbar und verständlich. In dem kleinen Büchlein war natürlich auch nicht mehr möglich.

Fazit: Das Büchlein ist ziemlich speziell in seiner Thematik und braucht deshalb einen speziellen Adressatenkreis.

Kategorie: Sachbuch
Verlag fontis, 2016

Kommentare

Arbutus kommentierte am 20. Oktober 2016 um 10:48

Habe gerade eher zufällig Deine letzten Ausführungen aus der LB-Leserunde zu dem Buch gelesen und fand sehr spannend, was Du da schreibst. Ein bisschen wundert mich, dass die dort genannten Kritikpunkte hier keinen Eingang in Deine Bewertung gefunden haben. Aber so geht es mir ja auch manchmal bei Bewertungen, die 5 mickrigen Sternchen sind viel zu pauschal, als dass man für einen zarten Kritikpunkt gleich einen ganzen abziehen möchte. Und wahrscheinlich ist es zu viel Detail, wenn man alles in der Rezension erwähnt. - Auf jeden Fall ein Buch, das mich interessiert, und eine sehr aussagekräftige Rezension.

wandagreen kommentierte am 20. Oktober 2016 um 15:45

Dass ich da und dort eine abweichende Meinung habe oder, sagen wir mal, ein oder zweimal ein Fragezeichen am Rande vermerke, ist kein Grund, die Leistung des Buches insgesamt zu schmälern. Ich habe diese Punkte in der LR zur Diskussion gestellt, das reicht.