Rezension

Schein oder Sein

Kleine Paläste -

Kleine Paläste
von Andreas Moster

Bewertet mit 5 Sternen

Ein beschauliche Kleinstadt und zwei völlig verschiedene Familien im direkten Nachbarschaft, deren Leben durch ein Ereignis vor 30 Jahren für immer miteinander geflochten sind.

Familie Holtz mit Sohn Hanno und Familie Dreyer mit Tochter Susanne leben zwar nebeneinander, aber für eine enge Freundschaft waren Frau Dreyers Brüste zu perfekt und Herr Holtzs Geldbörse zu dick. Trotzdem wachsen Hanno und Susanne zusammen auf, gehen gleiche Schule, streifen stundenlang durch den Wald. Bis Sommer 1986 auf einem Geburtstagsfest alles auseinanderbrach. Die Familien nehmen sich ab da an voneinander noch mehr Abstand, Hanno zieht weg, Susanne bleibt. Nach 32 Jahre später kehrt Hanno zurück. Nicht dass er seine Eltern vermisst oder jahrelang wöchentlich gewechselte Bettwäsche auf seinem Jugendbett nach ihm gerufen hat, sondern seine Mutter Sylvia plötzlich und unerwartet stirbt, wobei sein Vater seit Jahren pflegebedürftig auf dem Rollstuhl sitzt. Hanno beerdigt seine Mutter, übernimmt die Pflege von seinem Vater und Susanne, die mittlerweile Vollwaise ist, beobachtet alles erstmals distanziert aus dem Fenster. Nach paar Tagen dennoch erkennt Susanne, dass Hanno mit der Versorgung seines Vaters völlig überfordert ist und bietet ihm ihre Hilfe an. Doch die Wiederbegegnung die übriggebliebenen Familienmitgliedern reißt die alten Wunden wieder auf. Was ist damals passiert?

Mit seinen klugen, poetischen und lakonischen Sprache hat mich der Hamburger Autor in einer Kleinstadt mitgenommen, um mich schon ab ersten Seiten auf seinen Bann zuziehen. Die geheimnisvolle Handlung entwickelt einen Sog, aus dem ich mich nicht entziehen konnte! Was mir aber an der Lektüre ganz besonders gefallen hat, ist: nicht nur Mosters meisterhafter Schreibstil, sondern seine haargenauer Beobachtungsgabe und präzise Erzählkunst. Eigentlich passiert hier nicht viel. Man reist zwischen 1986 und 2018 hin und her, beobachtet die Mauern wie die erst hoch wachsen, dann Stück für Stück bröseln begannen und um Ende auseinanderzufallen. Mal erzählt Hanno von damals und heute, mal berichtet Susanne und zwischen durch geistert Hannos Mutter. Ja, sie geistert und das ist die Besonderheit von diesem Buch. Genialer Aufbau, sehr gut gelungener Perspektivenwechsel, vielschichtige Charaktere, was will man mehr.

Neid, Trauma, Schuldgefühle, Sprachlosigkeit spielt in Andreas Mosters neuer Roman zwar große Rolle, doch zwischendurch hat er mir immer wieder ein Lächeln im Gesicht gezaubert. Ohne viel Tamtam, kaum Dialoge aber mit messerscharfen Beobachtungen hat er mich fast atemlos die ganze Story folgen lassen. Großartige Schreibkunst, außergewöhnliche Erzählstimmen, grandiose Geschichte, welche ich nur weiterempfehlen kann.