Rezension

Schirach stellt wie immer die richtigen Fragen

Die Würde ist antastbar - Ferdinand von Schirach

Die Würde ist antastbar
von Ferdinand von Schirach

Dieses Buch fällt dem geübten Leser in der Buchhandlung definitiv auf. Warum? Weil der Verlag sich hier nicht für ein übliches Hardcoverformat mit Schutzumschlag oder ein Taschenbuch entschieden hat, sondern für eine laminierte Pappbroschur, was bedeutet, dass das Cover direkt auf das Hardcover gestanzt wurde. Mir gefällt das unheimlich gut, da ich sowieso kein Freund der Hardcover mit Schutzumschlag bin. Das Covermotiv reiht sich ein in die Schlichtheit der Motive von Schirachs bisherigen Veröffentlichungen: dezente Farben, seriöse Schriftart, keine Bilder oder Schnörkeleien.
Der Titel spielt natürlich auf Artikel 1 des Grundgesetzes “Die Würde des Menschen ist unantastbar” an- augenscheinlich behauptet der Autor das Gegenteil und macht so auf sich aufmerksam. Clevere Schachzug [:-)]

Da ich bisher drei Werke des Autors (“Schuld”, “Verbrechen”, “Der Fall Collini”) gelesen habe, von denen ich ausnahmslos angetan war, seine Essays aus dem Spiegel aber noch nicht kannte, war dieses Buch für mich ein absolutes Muss. Erst war ich skeptisch, ob es Ferdinand von Schirach gelingt, mich durch kurze Essays ebenso beeindrucken kann wie durch seine Kurzgeschichten bzw. Romane. Aber schon nach dem Einführungstext, der zugleich Namensgeber der Essaysammlung ist, war mir klar: auch dieses Buch werde ich liegen. Der Text ist ein fabelhafter Einstieg in die Lektüre und knüpft an die schon aus den vorherigen Büchern bekannten Fragen um Schuld und Strafe an.

Faszinierend finde ich an Schirachs Texten, dass es es ihm immer wieder gelingt, die richtigen Fragen zu stellen. Damit meine ich nicht Fragen, auf die man die Antwort gleich weiß, sondern eben solche, auf die man sie nicht weiß. Fragen, die man sich zum Teil selbst schon gestellt hat, deren Beantwortung aber fast unmöglich scheint. Das schönste Beispiel dafür ist sein Essay, in dem er eine Frage nach der anderen aneinanderreiht: „Verunsichert es Sie, dass Herr Rösler so jung aussieht? Oder ist das Ihnen egal? (…) Wäre Ihnen wohler, wenn in Ihrer Wohnung ein Kamin wäre? (…) Schreibt Frau Merkel ihrem Mann manchmal eine SMS, dass noch Milch eingekauft werden müsse? (…) Haben Sie schon einmal in einem Flughafen mit dem Gedanken gespielt, Ihr Gepäck unbeaufsichtigt zu lassen? (…) Geht es Ihnen gut?“ Als Leser verfolgt man unzählige kluge Gedankengänge des Autors, die manchmal nur angedeutet, manchmal auch näher erläutert werden, was automatisch dazu führt, dass man sich als Leser selbst reflektiert.

Auch wenn man kein Jurist ist, findet man sich in vielen seiner Anekdoten wieder: so schreibt er beispielsweise über die Revolution des Lesens (Ipad) , über die Schwierigkeiten und schönen Seiten des Schriftstellerdaseins, aber auch sehr persönliche Texte über seine Jugend im Internat und sein (Nicht-)Verhältnis zu seinem bekannten Großvater. Von seiner humorvollen Seite lernt man den Autor in seinem Essay über das Rauchen kennen, der mit einer herrlichen Pointe endet.

Mein Fazit: “Die Würde ist antastbar” ist eine kurzweilige, unterhaltsame Lektüre, die man in einem Rutsch lesen kann. Ferdinand von Schirachs Essays überzeugen vor allem durch die von ihm diskutierten, spannenden Themen. Und auch wenn man vielleicht nicht immer einer Meinung mit dem Autor sein wird, ist dieser Band aufgrund der brillianten Fragestellungen eine empfehlenswerte Lektüre.