Rezension

Sogreich in der zweiten Hälfte

No Escape -

No Escape
von Lucy Clarke

Bewertet mit 4 Sternen

Mitte des Jahres haben ich von „One of the Girls“ von Lucy Clarke begeistern lassen und man kennt es, wenn eine Autorin, von der schon fleißig vorher Bücher auf dem deutschen Buchmarkt veröffentlicht wurden, die aber unter dem Radar liefen, auf einmal schlagartig bekannt ist, dann legt man die alten Dinger einfach wieder auf. Mir ist das leider schon mal unwissentlich passiert, was mich hat vorsichtiger werden lassen, aber bei „No Escape“ war es mir klar, dass es schon ein Buch von 2015 von Clarke ist. Hier war es mir aber auch egal, weil ich das Buch vor acht Jahren nicht gelesen habe und weil ich einfach mal ein anderes und gerne auch älteres Buch von der Autorin lesen wollte, um meinem Eindruck von ihr nachzuspüren.

Das Buch ist in zwei Zeitperspektiven eingeteilt, aber wir erleben die komplette Handlung jeweils nur aus der Sicht von Hauptfigur Lana. Diese enge Perspektive, die zum Beispiel in „One of the Girls“ durch die vielen verschiedenen Perspektiven ganz anders wirkte, verändert das Lesen schon. Bei „One of the Girls“ fand ich es tatsächlich genial, dass ich mir zu allen Figuren ein Bild machen konnte, was dann auch einen sehr psychologischen Schwerpunkt erlaubt hat. Das ist in „No Escape“ nun wahrlich nicht der Fall, so dass alle anderen Mitbewohner von der Blue wahre Mysterien sind, selbst eine Kitty, die seit der Kindheit Lanas beste Freundin ist. Dennoch würde ich keinesfalls behaupten, dass jetzt eine Variante besser oder schlechter ist. Denn diese enge Perspektivierung hat auch ihre Vorteile, weil es eben erst recht undurchschaubarer bleibt und so auch stetig alles möglich ist, wo man vor allem nicht so intensiv die Logik hinterfragen muss, weil man eben keinen wirklichen Gesamteindruck hat. Dazu ist eben auch die Einteilung von Vergangenheit und Gegenwart dafür verantwortlich, dass sich viele Mysterien aufbauen, wo man unbedingt Antworten zu haben will.

Dennoch muss ich sagen, dass „No Escape“ sich im Gegensatz zu „One of the Girls“ länger schwer tut, einen richtigen Sog zu entwickeln. Am Ende war er voll da und da habe ich sogar unvernünftig mit dem Lesen durchgezogen. Aber das ist für mich immer ein sicheres Zeichen, dass es mich jetzt wirklich über jedes Maß hinaus angefixt hat. Aber es ist eben das Problem, dass wir nur Lana haben, über die wir alles wissen, denn bei dem anderen Buch war es eine größere Gruppe, wo es ständig Neues zu erfahren gab. Das ist bei „No Escape“ so nicht der Fall. Natürlich lernen wir auch Denny, Aaron, Heinrich und Co. langsam kennen, aber es sind alles Figuren, die bewusst einen Teil von sich zurückhalten. Dadurch haben wir nur die Gedanken von Lana, die sich in ihrer Enttäuschung wegen ihres Vaters auch noch sehr ähneln, weswegen erst noch nicht der richtige Drive reinkommen will. Dennoch ist Lana eine gute Protagonistin. Zum einen weil sie sympathisch ist und zum anderen weil sie vor allem später auch die mit dem Gerechtigkeitsbewusstsein ist, die mir zusagt und die ich gut als meinen moralischen Kompass akzeptieren konnte.

Ein Reiz des Buchs war natürlich auch die ausführliche Darstellung des Lebens auf der Yacht. Wir haben wirklich alle Seiten präsentiert bekommen. Die Schönen mit Plantschen, Schnorcheln und einfach die Seele baumeln lassen, aber auch das eher einfache Leben, das gewisse Regeln braucht, um funktionieren zu können und dann eben wieder die wirklich harten Seiten durch Mann über Bord und die Wettereinflüsse. Das war eindeutig ein Spannungselement für sich und ich fand es sehr eindringlich, weil ich manchmal selbst dachte, ich bin am Bug der Blue und fiebere mit. Ab der Mitte des Buchs gibt es dann angesichts der Mischung aus spannendem Leben auf dem Boot und eben zig offenen Fragen, die Antworten verlangen, kein Halten mehr. Hier läuft dann alles genau zusammen und da habe ich Clarkes größte Stärke auch ausgespielt erlebt. Es gibt zig Kniffe und das zieht sich bis in den Epilog. Bei dieser Stilistik besteht immer die Gefahr, dass es am Ende zu viel auf einmal ist, aber das kann ich nicht bestätigen, es war ein angenehmes Maß und am Ende hatte ich ein wirklich zufriedenes Gefühl.

Fazit: „No Escape“ ist ein schon älteres Werk von Lucy Clarke und auch vor acht Jahren konnte sie schon unterhalten. Zwar braucht es etwas länger, um richtig in Gang zu kommen und durch nur eine Perspektive ist es keine so intensive Charakterstudie wie in „One of the Girls“. Insgesamt ist das spannende Leben auf der Blue gepaart mit den offenen Fragen aber vor allem in der zweiten Hälfte ein unwiderstehlicher Sog.