Rezension

spannendes Debut mit kleinen Schwächen

Das Geheimnis der Gouvernante -

Das Geheimnis der Gouvernante
von Helen Scarlett

Bewertet mit 4 Sternen

Beim Titel „Das Geheimnis der Gouvernante“ musste ich gleich an Jane Eyre denken! Ich habe mich auf einen (neo)viktorianischen Roman und eine Art Gothic Novel mit schauerlicher Atmosphäre eingestellt. Tatsächlich findet der plot von Helen Scarletts Roman auch im Viktorianischen Zeitalter statt, die Haupthandlung setzt 1871 ein.

Worum geht’s?

Harriet aus der Grafschaft Norfolk hat eine Anstellung auf Teesbank Hall in Durham angenommen. Als sie aus dem Zug aussteigt, will kein Kutscher sie zum dem abgelegenen Anwesen bringen, man fürchtet das Haus (und seine Bewohner).

Die junge Frau soll die achtzehnjährige Eleanor Wainwright unterrichten, die mit ihrer strengen Großmutter und mit ihren Eltern (und vielen Bediensteten) im Herrenhaus lebt. Ihr Bruder Henry ist eigentlich mit seinem Studium beschäftigt, doch er ist nicht wirklich abwesend. Harriet wird angewiesen, Eleanor zu überwachen, kein Wunder, dass diese nicht freundlich ist. Die Gouvernante wird mehrere Familiengeheimnisse aufdecken und am Ende auch die Liebe finden …

„Das Geheimnis der Gouvernante“ von Helen Scarlett ist sehr spannend, ich habe die Geschichte in einem Rutsch gelesen und mich an keiner Stelle gelangweilt, es gibt keine Längen im Buch.  Ein richtiger Schauerroman ist es trotz passender „Zutaten“ für mich aber nicht, ich habe mich nicht wirklich gegruselt, da das Kryptische, Ambivalente fehlt. Vieles ist zu ‚vordergründig‘ beschrieben, und die Autorin kann sich nicht recht für eine klare Linie entscheiden. Zum gesellschaftskritischen Erzählansatz passen manche Elemente nicht, die Figuren sind dafür zu eindimensional. Zwar legt Scarlett falsche Fährten, wenige Seiten später werden diese aber wieder verworfen, sie nimmt sich eigentlich selbst den Wind aus den Segeln.

Die Figuren sprechen und handeln teilweise leider auch wie Menschen des 21. Jahrhunderts, also ahistorisch (ich setze voraus, dass die deutsche Übersetzung sich am Originaltext orientiert.) An einer Stelle verkündet Eleanor: „Wenn ich auch nur fünf Minuten mit Rosalind zusammen bin, möchte ich am liebsten kotzen.“

Es ist auch von „klettern gehen“ und „Luxusleben“ (liegt’s an der Übersetzung?) die Rede, daher konnte ich nicht ganz in die Story „abtauchen“, flüssig geschrieben ist die Geschichte dennoch. Für meinen Geschmack „packt“ die Autorin auch zu viele Aspekte in die Handlung. Manches fand ich auch unlogisch, wie kann jemand einerseits schwer krank sein (psychisch und physisch), und sein Studium mit Bravour meistern und eine beeindruckende Karriere ‚hinlegen‘?  Wussten Zeitgenossen schon, dass die Phrenologie Humbug ist? Ich fand es auch unbefriedigend, dass mehrere Handlungslinien im Sand verlaufen und vergessen werden. Helen Scarlett kratzt an der Oberfläche, geht aber nicht wirklich in die Tiefe, es gibt aber auch einen Ausblick auf den ersten Weltkrieg. Daher scheint mir, dass die Autorin bestrebt war, alles richtig zu machen, hier hätte der Lektor oder die Lektorin helfen können.

„Das Geheimnis der Gouvernante“ hätte mit ein wenig mehr Feinschliff der perfekte Debutroman sein können, so bleibt es bei einer sehr unterhaltsamen Story.