Rezension

Ungewöhnlich, fragmentarisch aber wenig emotional

Fliegenpilze aus Kork - Marie Luise Lehner

Fliegenpilze aus Kork
von Marie Luise Lehner

Bewertet mit 3 Sternen

Mein Vater der Überlebenskünstler

„Ich schweige meine größte Wut ins Telefon. Irgendwann unterbreche ich ihn: „Papa. Stopp. Ich will das nicht hören. Ich lege jetzt auf!“ Mein Herz klopft. Ich möchte weinen.“

 

Inhalt

 

Die Ich-Erzählerin, die ohne Namen bleibt, lässt den Leser an ihrer Kindheit teilhaben, insbesondere an ihren Eindrücken im väterlichen Elternhaus, denn ihre Eltern haben sich schon getrennt, als sie noch ein Baby war. Der Vater, die eigentliche Hauptfigur der Erzählung ist schon sehr speziell. Für seine Tochter nimmt er sich Zeit, doch nur um sie mit hinein in sein unstetes Leben zu nehmen. Eines, in dem er nur hin und wieder arbeitet und Geld verdient, dort wo Freunde bei ihm nächtigen, die eigentlich Kiffer sind, begleitet von Ladendiebstählen, Schwarzarbeit und Essen aus der Mülltonne. Für die Tochter ist klar, ihr Papa kann eine ganze Menge und dafür liebt sie ihn auch, eben weil er so anders ist und sie in ihrer kindlichen Naivität unterstützt. Doch je älter sie wird, desto zwiegespaltener gestaltet sich die Beziehung, weil ersichtlich wird, das eigentlich der Vater ein Kind ist und die heranwachsende Tochter in die Rolle der vernünftigen Erwachsenen gedrängt wird …

 

Meinung

 

In ihrem Debütroman thematisiert die junge österreichische Autorin Marie Luise Lehner eine Kindheit fernab von der Normalität, geprägt von einem zweigeteilten Elternhaus, in dem der Vater, trotz seiner alternativen Lebensweise einen großen Stellenwert einnimmt. Dabei geht sie sehr geschickt auf die Desillusionierung einer Kinderseele ein, die mit zunehmendem Alter die Schichten der väterlichen Unzulänglichkeiten aufdeckt und dennoch ganz intuitiv erkennt, dass diese naive Zuwendung, dass einzige ist, was ihr Vater zu geben vermag. Nebenbei verdichten sich beim Leser immer wieder die mannigfaltigen Eindrücke bezüglich elterlicher Verantwortung und dem Umgang mit dem kindlichen Vertrauen.

 

Dennoch stimmt mich die Geschichte eher traurig, nicht nur weil sie so befremdlich ist, sondern weil man als Leser förmlich zusehen kann, wie die Entwicklung der Kinder Risse trägt, eben darum weil sich zeigt, dass hochfliegende, unrealistische Träume und obskure Ansichten spätestens in der Pubertät eine derart klaffende Lücke zwischen Vater und Tochter entstehen lassen, die sich nicht mehr schließen lässt, selbst wenn die Beteiligten immer noch aneinander hängen.

 

Erwähnenswert ist auch noch der abgehackte, fragmentarische Erzählstil, der eher Momentaufnahmen abbildet, als eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Er macht dieses Buch speziell und bleibt auch in Erinnerung, obgleich das nicht meine literarische Wohlfühlzone ist. Zu vieles bleibt im Raum hängen, steht ungeschrieben zwischen den Zeilen und alternativ im Lebensplan der Protagonistin. Letztlich ruft der Text bei mir eine Mischung auf Unverständnis, Mitleid und Bewunderung hervor, die ich zum Glück in der realen Welt nicht mal ansatzweise nachvollziehen kann. Vielleicht wirkt das radikale, bestimmende Vaterbild intensiver, wenn man es selbst erlebt hat, möglicherweise kommt man dann auch der Erzählerin nahe – so jedoch finde ich keine Berührungspunkte und schaue mir alles durch das Auge eines unbeteiligten Dritten an. Diesen Umstand empfinde ich nicht optimal für einen emotionalen Roman, den man hier lesen darf.

 

Fazit

 

Ich vergebe mittelmäßige 3 Lesesterne für diesen Roman über eine ungewöhnlich starke Vater-Tochter-Beziehung, die so manchen Sturm erlebt hat. Wer als Leser gerne in fremde Lebensgeschichten hineinschauen möchte, ohne das Anderssein tatsächlich ergründen zu können, wer es aushält, nur Zuschauer ohne Einspruchsrecht zu sein und sich dennoch vieles detailliert vorstellen möchte, ist mit dem Roman ganz gut beraten. Eine Einheit zwischen Erzählung, Inhalt und Wirkung bekommt man aber nicht geboten, irgendwie ist man hinterher genauso schlau wie davor, mit dem Unterschied, dass man die Bequemlichkeit, die mit Sicherheit einhergeht, wieder mehr zu schätzen weiß.